Nightwish / ReVamp – “Psychische Probleme dürfen nichts sein, wofür man sich schämen muss”

Interview mit Floor Jansen in Hamburg
An Floor Jansen kommt keiner mehr vorbei. Als die 32-jährige Niederländerin mit 16 After Forever gründete, musste sie sich erst nach oben kämpfen und ihren Platz als Frau in der Szene verteidigen, mittlerweile zählt sie zu den größten Sängerinnen im Metal – spätestens seit Nightwish letztes Jahr plötzlich anriefen und sie baten, schnellstmöglich als Sängerin einzusteigen. Endlich konnten Nightwish wieder auf eine Erfolgsebene zurückkehren, die sie seit acht Jahren nicht mehr erreicht hatten und Floor… nun ja, die ist immer noch aus dem Häuschen. Momentan tourt sie mit ihrer anderen Band ReVamp durch Europa und “ruht” sich dabei beinah aus – denn Zuhause war sie schon ewig nicht mehr. Wie sie dennoch mit dem Stress klarkommt, wie ihr Verhältnis zu Tarja Turunen ist und was hinter den gefühlsgeladenen ReVamp-Songs steckt, verriet sie uns in Hamburg:

Es ist allgemein bekannt, dass du letztes Jahr unter einem schweren Burnout gelitten hast und lange brauchtest, um wieder auf die Beine zu kommen. Doch nun bist du nicht nur mit Nightwish und ReVamp unterwegs, sondern hast auch unzählige Gastauftritte bei Epica, MaYan, Christmas Metal Symphony… du bist überall! Hast du keine Angst, wegen dem Stress wieder in ein Loch zu fallen?
Floor Jansen: Nicht direkt, ich gehe Dinge mittlerweile anders an. Ich war immer ein Mensch, der extrem viel auf einmal gemacht hat, studieren, touren, Studioaufnahmen, Bandmanagement, damals mit After Forever war das nie ein Problem für mich. Aber als ich dann mit ReVamp begann und nebenbei noch viele Gesangsstunden gab, wurde es einfach zu viel und meine Sicherungen brannten durch.
Mein Terminkalendar wurde seitdem zwar noch voller, aber ich habe aus den Fehlern gelernt, so kann ich vermeiden, dass ich wieder daran kaputtgehe. Ich liebe außerdem so sehr, was ich gerade mache, dass es mich nicht auslaugt, sondern viel eher mit Energie versorgt – und die Energievampire um mich herum vermeide ich einfach!
Hat dein Selbstwertgefühl, das sicherlich durch deine plötzliche Aufnahme bei Nightwish enorm gestiegen ist, dazu beigetragen, deine Krise besser zu überstehen? Oder bekamst du stattdessen erst noch mehr Panik bei dem Gedanken, mit einer der größten Metalbands der heutigen Zeit zu spielen?
Die erste Zeit war wirklich eine Zitterpartie für mich, weil ich gar nicht realisierte, was in dem Moment [als ich bei Nightwish einsprang] passiert ist. Erst als ich meine freien Tage nach der Tour hatte und Zuhause saß, fiel mir auf, dass ich tatsächlich gerade bei Nightwish gesungen hatte!
Kommen wir mal zu deinem neuen Album „Wild Cards“. In den Songs „Anatomy Of A Nervous Breakdown“ verarbeitest du deine negativen Gefühle, und das ja sehr intensiv und schonungslos. Wie kamst du darauf, drei verschiedene Tracks aus dem Song zu machen?
Es ist keine fortlaufende Story, sondern ein Thema, das aus drei verschiedenen Perspektiven betrachtet wurde. Auf unserem ersten Album hatten wir ja auch schon ein Überthema, das wir über drei Songs ausgebreitet haben, und solange eine gute Grundidee dafür vorhanden ist und man es nicht an den Haaren herbeizieht, finde ich es gut, so ein Miniprojekt über das Album zu verteilen.
Der Song „Wolf and Dog“ spielt wiederum auf die Balance zwischen deiner Karriere und deinem Privatleben an – ganz ehrlich, gibt es überhaupt noch ein Privatleben für dich?
(lacht) Ja, schon, es ist nur etwas anders als bei den meisten Leuten…
Und gibst du nebenbei weiterhin Gesangsstunden?

Nein, aber falls ich mehr Zeit habe, würde ich es gern wieder aufnehmen. Allerdings weniger als regelmäßiger Lehrer, sondern mehr mit einzelnen Coachingstunden, falls jemand ganz spezifische Hilfe sucht. Es hat mir immer sehr gefallen.
Vor einem Jahr hättest du problemlos sagen können „Vergesst ReVamp, ich konzentriere mich nur noch auf Nightwish“, die meisten Leute hätten dies vermutlich getan. Doch es scheint viel Herzblut von dir in ReVamp zu liegen. Glaubst du dennoch, dass du eines Tages an den Punkt kommst, wo du dich für eine der Bands entscheiden musst?
Ich weiß es nicht. Mit ReVamp saß ich gerade an dem letzten Album, als Nightwish mich anriefen und es wäre eine Schande gewesen, die Platte nicht fertig zu stellen. Wir waren zu 80% durch und ich war sehr dankbar, dass die ReVamp-Jungs so lange auf mich gewartet haben, als ich meinen Burnout hatte, also konnte ich auch nicht so unfair sein und sagen „Sorry, fällt aus, ich bin jetzt bei einer anderen Band“. Außerdem gab es sehr viel eigenes Input bei „Wild Cards“, viele persönliche Texte und viel „BUÄÄÄÄH“ aus der Zeit, in der ich krank war. Das Schreiben war eine klasse Therapie für mich und sicherlich war es zeitlich etwas knapp, aber machbar.
Wie es nun in Zukunft aussehen wird, weiß ich noch nicht, aber ich liebe es in ReVamp zu sein, liebe meine Kollegen und die Atmosphäre, deshalb möchte ich es auf keinen Fall leichtsinnig aufgeben und sagen „Nö, ich habe ja jetzt Nightwish“.
Inwiefern hast du denn Angst, ein neues Album mit Nightwish aufzunehmen? Die Erwartungen an dich sind ja riesig.
Nein, ich habe in meinem Leben schon so viele Alben aufgenommen, dass das kein Problem ist, viel mehr sehe ich es als riesige Ehre.
Wie war es denn für dich, auf dem Female Metal Voices Festival auf der Bühne mit Tarja [Ex-Nightwish-Sängerin] zu performen? Zwischen euch scheint es gar kein böses Blut zu geben, obwohl viele das erwartet hätten.
Nein, das war überhaupt kein Problem. Viel mehr haben wir uns darüber amüsiert, wie wir wohl nebeneinander ausgesehen haben müssen, sie ist so winzig und ich ein Riese.
Ich fand es erleichternd mit ihr in Kontakt zu sein, weil es sehr wenig Leute gibt, die eine so ähnliche Karriere-Erfahrung gemacht haben, nicht nur wegen Nightwish, sondern auch weil es recht wenige größere Sängerinnen in der Metalszene gibt, die schon seit Jahrzehnten dabei sind. Wir hatten bisher ein Leben, das relativ wenig andere Frauen derart hatten und das verbindet von vorn herein. Wenn du Buchhalter bist, gibt es viele Leute, mit denen du dich über deine Berufserfahrungen austauschen kannst, als Metalsängerin ist das nicht unbedingt der Fall.
Außerdem wollten Tarja und ich der Welt offen sagen „Hey, zwischen uns ist alles okay“, denn was Tarja mit den Jungs von Nightwish durchgemacht hat, ist ihre Sache und geht mich nichts an. Sie wünschte mir aber viel Glück und da wir alle im Hier und Jetzt leben möchten, beschlossen wir einfach einen Song zusammen zu performen – als kleines Statement.

Wenn wir gerade bei Zusammenarbeit sind, hattest du nicht sogar schon an eine mit Angela Gossow [Arch Enemy] gedacht? Die ist neben dir ja genauso winzig…
Ja, das habe ich wirklich! Es ist leider nur ein Zeitproblem, ansonsten hätten wir das schon begonnen, wir stehen schon sehr lange in Kontakt.
Dann machst du die Growls und Angela singt?
(lacht) Naja, sie „outgrowlt“ mich locker, neben ihr wirke ich völlig unschuldig. Und da sie leider gar nicht auf den melodischen Kram steht, wird das wohl nichts mit dem Rollentausch und wir bleiben bei unseren üblichen Parts – aber das wäre auch schon eine tolle Sache!
Hier mal etwas, das man als Nightwish-Fan einfach fragen muss: Wie kamst du auf die großartige Idee, das Ende von Ghost Love Score derart zu improvisieren und zu verbessern, dass die ganze Menge brüllt vor Begeisterung. Kam das spontan?
Ja, ich habe es einfach ausprobiert und die Jungs aus der Band waren begeistert, so hat sich das ganz plötzlich entwickelt! Ich glaube, es passierte bei einem Soundcheck, dass ich diese Ad-libs, also die Freestyle-Vocals, testete und da ich den Song schon immer geliebt habe, hatte ich auch oft beim Hören der CD mitgesungen und immer mal etwas Neues dazu geschmuggelt.
Und als ich es dann vor der Band machte, sagten die Jungs einfach „Fuck, mach es!“ und das Publikum hat es komplett…
…GEFEIERT!
Genau (lacht) Und seitdem scheint sich da so ein Phänomen darum entwickelt zu haben.
Hast du denn irgendwelche Pläne für den Releasetag eurer neuen DVD oder bist du zu beschäftigt mit der Tour von ReVamp?
Nein, es wird ein Special Event in Finnland geben. Die nächsten zwei Wochen toure ich noch und danach fliege ich zu Nightwish… Wenn ich mir die Tage anschaue, die ich bis zum Rest des Jahres Zuhause sein werde, komme ich auf stolze vier! Nach ReVamp sind es drei Tage, dann geht es nach Finnland, danach ist noch ein Tag frei und weiter geht es mit der Christmas Metal Symphony Tour!
Außerdem habe ich noch ein anderes Projekt, das bislang aber noch geheim ist und was aufgenommen wird, wenn ich oben im Norden bin…
Cool! Letzte Frage: Was würdest du Menschen raten, die in ihrem Leben mit Depressionen oder Burnout zu kämpfen haben und wieder den Weg in die Normalität finden wollen?
Mach es nicht allein… such dir Hilfe! Psychische Probleme dürfen nichts sein, wofür man sich schämen muss, und man sollte nicht denken, dass man deshalb schwach ist! Im Gegenteil, oft passiert das gerade den Starken! Also mach dich nicht deswegen fertig, sondern suche dir Hilfe und vor allem finde die Quelle des Problems. Denn wenn du nicht weißt, was dich so aus der Bahn wirft, kannst du es auch nur schwer bekämpfen und die Umstände ändern.

Text: Anne-Catherine Swallow

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