Interview mit MARDUK – Antike Schädel an der Wand und Blut im Tiefkühler

Wenn man hört, wie das Kanonenfeuer immer näher rückt, können es eigentlich nur MARDUK sein, die mit ihrem Black Metal Sound für apokalyptische Zustände sorgen und ihre blutverschmierten Körper über die Bühnen Europas schleifen. Doch dabei sind sie verdammt höflich und redegewandt, wie der Hüne Morgan Steinmeyer Håkansson beweist, der 1990 im Alter von nur 17 Jahren die Band gründete und seitdem durch sein Songwriting und Gitarrenspiel vorantreibt. Sein ursprüngliches Ziel war es damals, die satanischste und blasphemischste Band aller Zeiten ins Leben zu rufen und heute, nach 13 Studioalben kann MARDUK getrost als Genrelegende bezeichnet werden. Doch nicht nur Teufelsanbetung ist ihr Steckenpferd – Morgan und seine Infanterie sind besonders auf die Schicksale und Grausamkeiten der Weltkriege spezialisiert und vertonen mit ihrem Artilleriesound die damaligen Zustände so treffend wie kaum eine andere Band.
Momentan führen die Schweden ihre neueste Scheibe „Frontschwein“ mit dem Panzer durch europäische Gefilde und stoppten auch auf dem belgischen Graspop, um kräftig um sich zu feuern, sich aber gleichzeitig als sehr unkomplizierte Zeitgenossen zu entpuppen.

Hey Morgan! Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns zu reden, auf Festivals geht es ja manchmal etwas drunter und drüber. Was waren bisher die schwierigsten Bedingungen, unter denen ihr eine Show spielen musstet?
Schwer zu sagen, normalerweise hält sich bei uns alles noch im Rahmen und auf zwanzig funktionierende Shows muss ja auch mal eine kommen, die ein wenig in die Hose geht. Wir hatten schon oft Probleme mit dem Equipment oder den Venues, wenn Verträge nicht eingehalten wurden, aber wir waren immer sehr erfinderisch und wenn uns unterwegs die Instrumente von der Fluggesellschaft verschlampt wurden, schafften wir trotzdem, uns etwas vor Ort zu leihen! Wir mussten nie wegen solchen Lappalien ein Konzert absagen, sondern haben immer fieberhaft dafür gesorgt, dass die Show dennoch zustande kommt.
Du tourst seit über zwanzig Jahren durch die Welt und ich schätze, du hattest auf Reisen die Gelegenheit, Kriegsdenkmale, Schlachtfelder oder ähnliche historische Plätze zu besuchen – welcher Ort hat dich bisher am meisten fasziniert?
Ich versuche überall wo ich hinkomme, so viele Dinge wie möglich mitzunehmen, dabei sind es natürlich nicht immer nur Kriegsschauplätze – neulich in Südamerika ist ein riesiges Krokodil beinah mit unserem Boot zusammengestoßen, haha! Aber ich besuche gern Militärfriedhöfe, Museen, Plätze in denen historisch relevante Menschen geboren wurden oder gestorben sind – ich habe schon sehr viel gesehen und könnte jetzt gar nicht sagen, was mich am meisten beschäftigt hat. Ich würde auch gern mal in das Panzermuseum in Münster, was bis heute das größte seiner Art zu sein scheint und wo sie jeden Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg stehen haben. Aber natürlich liefert ganz Europa eine Vielzahl an Möglichkeiten, wenn man sich für solche Themen interessiert.
Du hast schon als Kind Panzermodelle selbst gebaut, richtig? Heutzutage wäre so etwas schon wieder eine große Diskussion bei der Erziehung – lässt man Kinder mit Panzern und Spielzeugwaffen spielen oder soll man ihnen so etwas verbieten? Wie stehst du zu der Diskussion?
Ich sehe da kein Problem, Kinder haben seit Jahrhunderten mit solchen Dingen gespielt und wenn jemand im Kopf durchdreht und in seinem späteren Leben furchtbare Dinge tut, dann nicht, weil er mal mit Modellpanzern gespielt hat. Sonst müssten ja die meisten Menschen heutzutage einen Knacks im Kopf weg haben, denn wer hat früher nie mit Plastikwaffen herumgeballert? Jedes Kind geht durch verschiedene Stufen in seiner Entwicklung und ich denke, es ist nichts Ungewöhnliches, wenn es auch mal eine Zeit lang Krieg spielen möchte.
„Frontschwein“ hat großartige Kritiken bekommen und ich schätze, ihr könnt wieder einmal stolz sein – jeder Track erzählt eine andere Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, welches Szenario fasziniert dich persönlich davon am meisten?

Ich liebe sie alle auf gleiche Weise, weil ich in alle denselben Aufwand an Arbeit investiert habe. Alle Hintergründe haben mich gefesselt und es ist wohl wie mit eigenen Kindern, da sind auch alle auf ihre Weise verschieden und man kann niemals sagen, welches man am liebsten hat.
Du sagtest mal, dass du zu Recherchezwecken mit einigen Kriegsveteranen in Kontakt stehst – haben sie jemals deine Musik gehört und falls ja, wie war ihre Reaktion darauf?
Nein, die meisten wussten vermutlich gar nicht, dass ich in einer Band spiele, da ich darüber nie gesprochen habe. Aber es ist faszinierend, mit solchen Menschen zu sprechen und ihre Geschichten zu hören, auch wenn es mittlerweile natürlich immer schwieriger wird, Überlebende aus dieser Zeit zu finden. Aber wenn du es schaffst, ist es absolut fesselnd, ich versuche mit Leuten aus allen möglichen Ecken der Welt in Kontakt zu treten und von ihnen zu lernen, aber um ehrlich zu sein, rede ich nicht nur gern mit Kriegsveteranen, sondern generell mit älteren Leuten. Das ist toll, sie haben so viele Geschichten auf Lagern, aber kaum jemand nimmt sich die Zeit, ihnen zuzuhören.
Ich besitze auch viele Sammlerstücke aus früheren Zeiten, nicht nur aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern aus vielen verschiedenen Epochen – Schwerter aus dem Jahr 1703, Relikte aus dem 16. Jahrhundert… Ich bin eben ein Geschichtsnerd und gehe gern auf solche Sammlerbörsen – dort wissen die Leute nicht, was ich beruflich mache und es ist auch nebensächlich, man findet alle möglichen Personen dort, 93-jährige Waffensammler, Doktoren, Anwälte… man muss kein Freak sein, um sich für Kriegsgeschichte zu interessieren.
Was ist denn das wertvollste oder für dich faszinierendste Sammlerstück in deinem Privatbesitz?
Ich besitze einen menschlichen Schädel aus dem Jahr 1361, das ist etwas, das ich wirklich zu schätzen weiß. Mit klaren Dokumenten und Herkunftsnachweisen. Und an meiner Wand hängt ein Familienwappen, das auf einem Sarg von einem Kerl lag, der im 8. Jahrhundert verstorben ist – das war der Herrscher von der Gegend, in der ich lebe. Also haha, wie du siehst, man kriegt da mit der Zeit schon einiges zusammen gesammelt. Waffen kamen auch schon viele zusammen, aus allen möglichen Zeitepochen. Und Möbel! Ich liebe es, unterwegs in Antiquariaten anzuhalten und dort die Bestände durchzugehen, manchmal kaufe ich sogar so viel, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich es auf Tour transportieren soll!
Nach all den Jahren als Berufsmusiker, hast du da immer noch den Eindruck, dass du Fortschritte an der Gitarre machst?
Keine Ahnung, Fortschritt ist für mich nichts, was unbedingt nötig ist, ich zähle nicht zu den Musikern, die jeden Tag üben, um besser und besser zu werden – für mich ist die Gitarre eine Waffe. Ein Fahrzeug für Kreativität. Ich möchte einfach ein gewisses Gefühl transportieren und das kann ich mit sowohl simplen als auch komplizierten Akkorden, aber ich würde nie etwas kompliziert gestalten, allein um mein Können zu demonstrieren oder so einen Mist. Für mich geht es darum, ein Gefühl und eine Atmosphäre zu erschaffen. Deshalb interessiere ich mich auch nicht dafür, ob ich nun Fortschritte mache oder nicht – Fortschritt ist auch nicht immer gut, manchmal verliert man ja sogar sein eigentliches Ziel aus den Augen. Niemand hat mir jemals Gitarrespielen beigebracht, ich habe mir alles selbst erarbeitet und jahrelang sagte man mir, dass ich es niemals auf diese Weise schaffen würde, aber naja, offensichtlich klappte es doch. Ich versuchte einfach, mir die Songs einzutrichtern, die ich im Radio hörte.

Was war das erste Lied, das du souverän beherrscht hast?
Oh Gott… vermutlich ‚Smoke On The Water‘.
Haha, ich glaube, es gibt keinen Menschen, der etwas anderes sagen würde!
Ja, irgendwann arbeitete man sich dann zu Kiss und Judas Priest weiter, aber jeder fängt mal klein an.
Ihr habt im Laufe eurer Karriere immer wieder große Schocker gebracht und euer „Fuck Me, Jesus“-Shirt ist bis heute ein Klassiker. Was denkst du, schockiert Leute heutzutage noch?
Ich weiß es nicht, das muss immer eine Ansichtssache zu sein. Aber es scheint, dass du im Leben machen kannst, was du willst, es wird immer Leute geben, die sich davon ans Bein gepisst fühlen. Heutzutage wird ja jeder von allem provoziert, ich persönlich sehe da kein großes Problem, selbst wenn mir die Sichtweise von jemandem nicht gefällt, respektiere ich trotzdem seinen Standpunkt, wenn er ihn souverän zu vertreten weiß. Ich halte viele Menschen für Idioten, aber trotzdem bin ich nicht von ihnen schockiert. Und ich würde mich auch in meinem künstlerischen Schaffen niemals davon einschränken lassen, was andere Leute denken, wieso sollte ich mir vorweg monatelang den Kopf darüber zerbrechen, ob sich jemand auf den Fuß getreten fühlt, wenn ich den Soundtrack zu einem historischen Geschehen schreibe? Ich habe ja die Geschichte nicht geschrieben, die war schon vorher so grausam und erschreckend, ich greife das lediglich auf und verarbeite es künstlerisch, aber ich bin sicher nicht der, der auf dem Schlachtfeld steht und Leute tötet – ich finde es nur wichtig, dass man von geschichtlichen Ereignissen lernt.

Wie lange braucht ihr vor der Show, um euch mit Make Up einzusudeln und wenn ihr mit Blut hantiert – wo kommt das Blut her?
Das Blut stammt hauptsächlich von Tieren, die ich selbst gejagt habe. Zuhause in Schweden gehe ich oft auf die Jagd und deshalb macht das die Sache recht unkompliziert. Ich fülle es einfach ab und stecke es dann in meine Tiefkühltruhe. Und was das Make Up betrifft… das geht schnell, oftmals braucht es mich keine drei Minuten. Ich habe ja Übung darin und außerdem ist es etwas sehr intuitives, ich stehe nicht stundenlang vorm Spiegel, um sicher zu gehen, dass jeder Strich sitzt, das wäre ja albern. Meine Schminke ist mehr eine Momentaufnahme, ich versuche, das Gefühl und den Geist der Musik damit einzufangen.
Du sagtest selbst mal, dass du drei bis vier Bücher pro Woche liest – das ist schon ganz schön heftig. Was liest du im Moment gerade?
Momentan lese ich ein schwedisches Buch aus den Sechzigern über einen Feldmarschall, der heute dreißig Minuten von meinem Zuhause entfernt beerdigt liegt. Wenn du dort in die Kirche gehst, siehst du seinen Sarg und deshalb wollte ich mehr zu dem Thema wissen. Aber ich lese viel über europäische Geschichte, aber auch über Religion und spirituelle Ideologien, besonders auf Tour hat man viel Zeit dafür.
Wie oft hast du bereits die Bibel gelesen?
Am Stück vermutlich nicht so häufig, aber es gibt viele Geschichten darin, die ich immer und immer wieder lese, weil ich sie sehr inspirierend finde. Es ist einfach ein verdammt brutales, grausames Buch und scheint als Inspirationsquelle niemals zu versiegen!

Interview: Anne Catherine Swallow
Titelfoto: Jens Rydén

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