Interview mit Luca Turilli’s RHAPSODY – Rufe aus der spirituellen Welt

Zu oft wird der Begriff „Mastermind“ in der Musik missbraucht und auf so viele Songschreiber angewendet, dass er seine Durchschlagkraft verloren hat. Doch wenn diese Bezeichnung auf jemanden zutrifft, dann ist es wohl LUCA TURILLI, der seit den Neunzigern mit seinen symphonischen Projekten die Metalszene zu Opernfans macht. Bekannt wurde er durch seine Band RHAPSODY, die sich 2011 zu den verschiedenen Acts Rhapsody Of Fire und Luca Turilli’s Rhapsody splittete und ein riesiges Chaos beim Ticketkauf verursachte, das die Szene 2015 aber langsam verkraftet haben sollte. Denn mit dem zweiten Album unter dem Namen LUCA TURILLI’S RHAPSODY hat der redefreudige Italiener mittlerweile deutlich gemacht, wer weiterhin als König auf dem Cinematic Metal Thron hockt und diesem Ruf gerecht wird mit seinem modernen, Filmmusik-artigen Sound. Der 43-jährige Bandchef aus Trieste packt im Interview aber noch eine ganz andere Seite von sich auf den Tisch und spricht so offen und überzeugt von seinen spirituellen Ansichten, dass wir im Gespräch ein wenig vom geplanten Pfad abkamen und somit mehr über Luca als Person erfuhren, als über das neue Album Prometheus, Symphonia Ignis Divinus“, das am 19. Juni über Nuclear Blast erscheint. Aber lest selbst – wir hoffen, ihr habt etwas Zeit mitgebracht (und das hier ist nur die gekürzte Version eines 100-minütigen Gesprächs!).

Luca! Dein neues Album ist wieder einmal bombastisch geworden und ich schätze, es braucht viel Zeit, all seine Facetten und Details zu ergründen. Aber da der cinematische Aspekt weiterhin im Vordergrund steht, wollte ich einfach mal simpel anfangen: Was war der erste Film, dessen Soundtrack dich wirklich mitgerissen hat?
Luca Turilli: Wow, da muss ich aber ganz weit in meine Vergangenheit zurück schauen! Als ich in meiner Jugend ins Kino ging, war ich zwar damals schon von Filmen begeistert, die Faszination für ihre Musik entwickelte sich aber erst später. Vermutlich ab 20, als ich dann selbst Musiker war. Ich glaube, der Soundtrack, der mich damals dazu inspirierte, selbst in dem Genre anzufangen, war Batman. Ich hatte die CD gekauft, saß mit meinem Ex-Kollegen Alex Staropoli zusammen und war hin und weg von der Scheibe – es handelte sich dabei um klassische Musik, die aber in einem ganz anderen Kontext verwendet wurde und somit zu einer ganz neuen Generation des Genres beitrug. Ich spielte die CD also Alex vor und er meinte sofort, dass wir auch versuchen sollte, solche Elemente in unserer eigenen Musik zu verbauen.
Bist du jemand, der im Kino auch mal weint?
Manchmal. Es gibt so viele Filme, die mich mitgerissen haben, aber ich kann mich kaum entscheiden, welche mich am meisten bewegt haben. Ich schaue fast alles, von Horror bis hin zu Superheldenfilmen, Transformers, Schwarzenegger, ach, ich liebe alles mit bombastischen Soundtracks, wie von Hans Zimmer oder Danny Elfmann, der ja der Lieblingskomponist von Tim Burton ist und deshalb ganz grandiose Filme musikalisch untermalt hat. Was mich auch immer wieder umhaut, ist Braveheart! Oftmals sind auf Soundtracks viele Füller vorhanden, die nur zur Untermalung der Bilder gedacht sind, aber dann gibt es wiederum auch Songs, die für sich allein funktionieren und nach denen suche ich.
Sprechen wir doch einmal über das Konzept deines neuen Albums – anfangs hatte ich Schwierigkeiten, zu begreifen, nach welchen Ideen du die Songthemen ausgewählt hast, du scheinst auf alte, klassische Mythen zurückzugreifen und diese aber gleichzeitig mit deinen eigenen spirituellen Gedanken zu verbinden, richtig?
Ja. Ich wollte viele hermetische Botschaften in den Songs unterbringen. Ich war schon immer interessiert an urtümlichen spirituellen Quellen, später manipulierten die Menschen alte Legenden und bogen sie so zurecht, dass sie einen neuen Sinn ergaben, mich interessieren jedoch die Ursprünge davon. Sie beeinflussten jede einzelne Kultur dieser Welt und jede Religion und deshalb suche ich nach ihnen – ich versuche, die Wahrheit hinter der Welt zu entdecken. Mythen, Legenden, Spiritualität, all das steckt in uns Menschen und da mir im Leben einige unerklärliche Dinge passiert sind, habe ich immer versucht, einen tieferen spirituellen Sinn zu finden. Viele Menschen halten das Übernatürliche für Humbug, aber nur, wenn sie es nicht kennen – für mich hingegen ist es das Natürlichste der Welt. Nennen wir es die „Energie der Schöpfung“, ich möchte nicht von Gott reden, sondern der Kraft, die erschafft. Das ist es, was mich seit Jahrzehnten fesselt und was ich ergründen möchte. Wenn Wunder geschehen, schieben Menschen es je nach ihrer Herkunft auf verschiedene Götter – ich glaube nicht an diese Götter, aber ich glaube an die Wunder. Und es ist spannend, diese Möglichkeiten zu ergründen. Man begibt sich auf ganz andere Wege und lässt das materialistische Leben hinter sich, nur auf diese Weise kann man sich als Mensch wirklich entfalten. Und all das möchte ich mit RHAPSODY erkunden: Metaphysik, Schöpfung, aber das ist kaum möglich, ohne die alten Mythen und Legenden von verschiedenen Kulturen miteinzubeziehen. Der Stein der Weisen, der Heilige Gral… ich setze sie nur in einen anderen Kontext und füge wissenschaftliche und psychologische Aspekte hinzu. Weißt du, ich mache gern Yoga – nicht die Gymnastik, sondern die Meditation, und ob du es glaubst oder nicht, das versuche ich in RHAPSODY unterzubringen. Wir werden immer inspiriert von Hoffnung und Liebe, aber wir versuchen auch immer Leute zum Denken anzuregen – zu viele Leute leben nach materialistischen Richtlinien und werden niemals glücklich werden, weil weltlicher Besitz zwar temporär zufriedenstellen kann, aber am Ende braucht ein Mensch mehr im Leben, andernfalls langweilt er sich. Und unser Gehirn ist in der Lage, auch eine höhere, spirituelle Ebene zu erreichen, also falls du dich innerlich leer fühlst und den Eindruck hast, dass dir im Leben etwas fehlt, ist das oftmals nur ein Ruf von aus der spirituellen Welt, die dir eine kleine Exkursion anbietet.
Ich glaube, viele Leute sind noch ein wenig skeptisch, wenn es darum geht, sich mit Spiritualität auseinanderzusetzen – doch sicherlich gibt es auch viele, die daran interessiert sind, aber nicht so recht wissen, wie und wo sie den Einstieg machen sollen. Was würdest du da empfehlen?

Ich denke, es sind spezielle Erlebnisse, die einen automatisch dazu bringen. Bei mir wurde 1993 Krebs diagnostiziert und der Arzt sagte, dass es keine Hoffnung mehr für mich gäbe, ich hatte zu viele Metastasen gebildet und zu der Zeit schlug eine Chemotherapie noch schwerer auf den Körper, als heute noch. Aber dann ist etwas passiert, was ich heute als Wunder bezeichnen würde. Und ich fragte mich einfach: Warum?
Aber ich war schon vorher an solchen Dingen interessiert, Alex Taropoli und ich hatten zuvor einen Kurs gemacht, etwas, das ich mit „Mind Dynamics“ übersetzen würde, wo es darum ging, mehr über dein Gehirn und deine geistigen Fähigkeiten zu lernen und dein Leben somit besser zu kontrollieren. Und mit der Zeit versteckte ich immer mehr von meinen persönlichen Erkenntnissen in meinen Liedtexten – natürlich kann man sie auf mehrere Arten lesen und man muss sie nicht auf spirituelle Weise interpretieren, wenn man das nicht will, aber der Subtext ist immer vorhanden. Also kann jeder selbst für sich entscheiden, was er aus den Texten mitnimmt. Aber um deine Frage zu beantworten: Man kann mit Yoga anfangen, oder mit Meditation, die Inder und tibetanischen Mönche haben fantastische Techniken, die man sich aneignen kann. Sie greifen direkt auf das Nervensystem zu und beeinflussen eine Menge, wenn man es nur selbst zulassen möchte. Die Atemtechnik ist das allerwichtigste: Wenn du jeden Tag zwanzig Minuten übst, auf die richtige Weise zu Atmen und dich zu entspannen, verändert das auf Dauer sehr viel an deinem Gesundheitszustand. Es ist natürlich wie Klavierspielen, nach einer Woche wirst du noch keinen großen Fortschritt merken, aber wenn du dran bleibst und weiter übst, bemerkst du bald Veränderungen. Aber man kann niemanden überzeugen, mit so etwas anzufangen, jeder muss von selbst darauf kommen und es aktiv wollen.
Inwiefern siehst du Musik als so eine Technik – sowohl beim Spielen deiner eigenen Musik als auch beim Zuhören? Viele Völker benutzen Musik oder Rhythmen, um andere Geisteszustände zu erreichen.
Ja genau, Musik kann ebenfalls zu einer Verbindung zwischen der irdischen und der spirituellen Welt werden. Wenn ich zu einem Psychologen gehe, sagt der mir erst mal, dass meine Musik so bombastisch und voller Chöre ist, weil ich versuche, die Schönheit einer anderen Welt einzufangen und zu beschreiben. Ich kann verstehen, wenn du dich fragst, was für einen Humbug ich hier rede, falls du dich selbst noch nicht mit einer solchen Thematik befasst hast, aber doch, ich würde sagen, dass ich beim Schreiben meiner Musik immer nach anderen Dimensionen greife und die Energie einzufangen versuche.
Nein, ich bin eigentlich eher beeindruckt, weil du definitiv der erste Metalmusiker bist, der von einer solchen Thematik spricht und von Yoga begeistert ist. Denn eigentlich ist Metal ja eher das Gegenteil, aggressiv, ungezähmt, unruhig…
Klar, in der Metalszene wird nach dem „Saufen und Party“-Prinzip gelebt und das ist ja auch völlig okay. Aber du wärst überrascht, wie viele Leute man doch immer wieder trifft, die sich mit solchen Themen interessieren. Oftmals habe ich schon sehr lange mit Fans oder anderen Musikern nach Konzerten diskutiert, man tauscht sich aus, man inspiriert sich – es ist toll.
Glaubst du an die Unsterblichkeit der Seele?
Ja, natürlich. Ich würde den Tod nie als das Ende betrachten, sondern einfach wie eine Geburt, es ist ein Übergang in eine andere Welt. Wenn du schaffst, durch Meditation deinen Geist von deinem Körper zu trennen, wirst du schnell bemerken, dass wir mehr als nur ein Fleischklumpen sind. Der Tod ist für mich eine Sache, die nur für materialistisch denkende Menschen existiert – wenn du nur an deinen irdischen Besitztümern festhältst, dann stirbst du auch auf eine irdische Weise. Wenn du dich aber auf deinen Geist konzentrierst, hast du auch keine Angst, ihn je verlieren zu können. Die Seele zieht einfach weiter. Es ist natürlich heutzutage schwer, Abstand vom Alltag zu bekommen, man arbeitet so viel, dass man kaum Zeit für Yoga hat, man kann sich nicht von seinen Ängsten trennen… aber wenn man es doch einmal versucht, merkt man schnell, dass im Gehirn ein Schalter umzuspringen scheint. Und mit der Zeit wirst du verstehen, dass dein Geist sogar deinen Körper kontrollieren oder gar verlassen kann für einige Zeit, und wenn du solche Dinge erlebt hast, merkst du schnell, dass die Seele unsterblich sein muss.

Mir fiel auf, dass dein neues Album viele Parallelen zu der letzten Nightwish-Scheibe aufweist, nicht nur von der cinematischen Musik, sondern auch vom Ansatz her, dass ihr beide sehr spannende, philosophische Grundaspekte aufgreift und gelesene Literaturpassagen von Wissenschaftlern verwendet, nur dass Nightwish eher Physik und ihr metaphysische Ideen verarbeitet – standet ihr bei der Mache eurer Alben jemals in Kontakt zueinander?
Oh, um ehrlich zu sein, besitze ich das Album zwar, aber ich kam noch nicht dazu, es mir anzuhören, deshalb weiß ich auch nichts darüber. Haha, weißt du, es ist schrecklich, ich habe fast ein komplettes Jahr lang nur meine eigene Musik gehört, weil ich so intensiv daran gearbeitet habe – und selbst jetzt bin ich immer noch in Aktion, weil bald unsere Single „Rosenkreuz“ erscheint und ich jetzt erst mal mit der Promotion beschäftigt bin. Aber bald habe ich dann wieder Luft und werde natürlich in die neue Nightwish reinhören oder in Blind Guardian, ich habe da eine lange Liste. Aber ich wusste gar nicht, dass Tuomas so ein überzeugter Atheist ist, obwohl wir seit vielen Jahren befreundet sind. Und wenn ich seine früheren Texte lese, finde ich sie enorm spirituell. Auch wenn ich selbst nicht an eine spezifische Religion gebunden bin, würde ich mich trotzdem niemals als Atheist bezeichnen, wie er es tut, weil ich befürchten würde, damit Möglichkeiten auszuschließen. Ich bleibe lieber offen für alle Einflüsse und Theorien. Ich gehe ja nicht einmal Wählen. Selbst wenn ich für eine bestimmte Fußballmannschaft bin, würde ich auch niemals ins Stadion rennen und einen Spieler der gegnerischen Mannschaft beleidigen. Ich hasse es, wenn Leute mich sofort in eine Schublade stecken und sagen „Der ist so und so“, denn das bin ich nicht, ich versuche immer einen 360° Winkel in meiner Sichtweise zu behalten und für alles offen zu sein. Ich mag Jesus, ich finde seine Geschichte grandios und was er alles getan hast, aber genauso liebe ich den Dalai Lama… Alles, was Liebe und Respekt symbolisiert, ist großartig für mich, trotzdem würde ich mich nicht zu einer bestimmten Religion zählen.
Deine Musik ist weit entfernt von Black Metal, trotzdem, wie stehst du dazu, dass in dem Genre kaum etwas ohne Satanismus funktioniert, sei es zur Provokation oder aus ernsthaftem Glauben heraus?
Ich habe viele Black Metal Musiker kennengelernt und obwohl sie eine deutliche Faszination für das Böse und die Dunkelheit zu haben scheinen, sind sie dennoch voll von Liebe. Dunkelheit ist Teil des Lichts und man braucht beide Seiten, um das Licht überhaupt schätzen zu können. Ich liebe Horrorfilme und alles aus der Gothicszene, Finsternis, düstere Schönheit, all das findet man auch immer wieder in meinen Musikvideos, aber das ist ja in keinster Weise mit dem Bösen gleichzusetzen. Die Welt ist nicht nur schwarzweiß, sondern in Wirklichkeit ist alles grau, komplex und nicht dual. Und letztendlich ist die einzige Kraft die der Liebe. Alles geht von Liebe aus, der Rest ist nur Ablenkung. Und das versuche ich auch wieder auf dem neuen Album deutlich zu machen. Ich hoffe, dass ein paar Menschen meine Scheibe hören und sich dadurch so gut fühlen, dass sie losziehen und weiteren Leuten den Tag versüßen. Wenn so etwas passiert, dann habe ich meinen Zweck als Komponist erfüllt.
Ich möchte dir gern glauben, dass Liebe die einzige Kraft ist, die auf der Welt etwas bewegt, aber dann wiederum muss man manchmal nur die Augen öffnen und schon ist da all der Hass und die Menschen, die von etwas ganz anderem getrieben werden, als Zuneigung. Wie schaust du auf so etwas?
Man muss bedenken, dass diese Leute, die all das tun, was uns in den Nachrichten schockiert, vermutlich Menschen sind, die niemals genügend Liebe in ihrem Leben bekommen haben. Und sie werden einem niemals glauben, wenn man ihnen das sagt. Das, was du als Kind an Zuwendung bekommst, gibst du in deinem späteren Alter auch weiter, sei es positiv oder negativ. Menschen suchen nach etwas und wenn sie das nicht bekommen, suchen sie es sich in Gewalt oder in Sekten oder ähnlichem, es kann auch einfach nur ein Fußballteam oder eine Band sein, aber Menschen brauchen eine Energie in ihrem Leben. Woher sie die bekommen, kommt dann eben immer darauf an. Ein Mensch wird von seiner Genetik, seiner Erziehung und seinem Umfeld geformt, das sieht man ja bereits innerhalb einer Familie: Geschwister, die genau gleich aufwuchsen, können dennoch unterschiedlich im Charakter werden. Weißt du, in dem Introtext auf dem Album habe ich ein Zitat von einem französischen namens Pierre Teilhart De Chardin, das besagt: „We are not human beings having a spiritual experience, we are spiritual beings having a human experience“ – und das gibt doch Hoffnung für die Menschheit. Unsere Existenz auf dieser Welt ist schön, auch wenn sie nicht immer einfach ist. Aber hey, es geht uns gut, wir leben nicht in Kriegsgebieten, wir haben moderne Technologie – manchmal muss man die Augen schließen, um die Schönheit der Welt zu sehen.

Interview: Anne Catherine Swallow

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