Interview mit Lacuna Coil – Zwischen Rache, Handysucht und Kuscheltieren

Als Steckenpferd der Gothic Metal Szene arbeiteten LACUNA COIL sich in den Neunzigern konsequent an die Spitze und schufen nun nach zwei Dekaden im Musikgeschäft ihren eigenen Stil aus düsterem Modern Metal. Doch nicht nur ihre Musik macht die Italiener zu einem Unikat, auch die herzliche und charismatische Art von den beiden Co-Sängern Cristina Scabbia und Andrea Ferro sorgt für gefüllte Hallen auf der ganzen Welt – dieses Wochenende nun auch in Herford, wo die Band zusammen mit Motionless in White und Dani Filths Devilment für ordentliches Durchpusten der deutschen Ohren sorgte. Wir trafen die beiden Fronter vor der Show, um mit ihnen ein Kaffeekränzchen zu halten und anzuhorchen, was sie zu sagen hatten über das platte Bild der Menschheit durch die Medien, die Twilight-Vampire, signierte Klobrillen und ihren privaten, flauschigen „Saustall“.
Sound Infection: Ihr habt geniale neue Kostüme auf der Bühne, zuerst war ich davon ausgegangen, dass ihr die Outfits nur für Halloween tragen würdet, aber nun scheint es auch für die übrige Tour „spooky“ zu bleiben. Sind die Kleider selbstgenäht?

Andrea: An Halloween haben wir es noch ein bisschen mehr übertrieben mit dem Make Up, aber ansonsten ist es wirklich Dasselbe. Die restlichen Jungs der Band tragen weiterhin ihre schwarzen Uniformen, sodass nur die Sänger etwas hervorstechen. Aber die Kostüme gefielen uns und es ist immer nett, mal ein wenig anders auszusehen, insbesondere zu Zeiten des Internets, wo Konzertfotos sich rasant verbreiten und die Leute uns vielleicht auch mal in einem anderen Outfit sehen wollen, als sonst.
Bei den Texten auf eurem letzten Album spielt Rache eine immer wiederkehrende Rolle, fiel mir auf. Deshalb würde mich mal interessieren, welche Form von „Rächer“ ihr persönlich seid, wartet ihr lieber jahrelang im Stillen auf euren Moment oder würdet ihr sofort losziehen und Leuten eure Meinung sagen?
Cristina: Ich würde es nicht unbedingt Rache nennen, was so oft auf unserem Album vorkommt. Es ist eher eine Form von Stolz. Im letzten Jahr gingen wir alle durch sehr schwere und düstere Zeiten in unserem Leben und alles was wir durchmachen, fließt auf die eine oder andere Weise in unsere Texte ein. Deshalb empfinde ich unsere Lyrics eher als Ausdruck von Stärke, Ausdauer und Stolz – vieles handelt davon, wie man aus seiner eigenen Asche wieder aufersteht und dadurch stärker ist als man es je war. Ich persönlich kann aber trotzdem einiges mit dem Gefühl von Rache anfangen, es ist mir sehr bekannt und ich war auch oft sehr wütend auf unterschiedliche Dinge in meinem Leben. Aber ich denke, dass Rache nicht die Lösung ist, sie bringt nur deine dunkelste Seite zum Vorschein, verschwendet unnötig viel Zeit und treibt dich in einen Teufelskreis, aus dem du nicht mehr ausbrechen kannst.
Wie ist denn euer Gesamtbild der Menschheit? Ich weiß, dass es zu komplex ist, um es einfach zu beantworten, aber sind eure ersten Assoziationen, wenn ihr an die Menschheit an sich denkt, eher negativ oder positiv?
Andrea: Heutzutage sehen wir die Menschheit hauptsächlich durch Bildschirme, das Internet, die Nachrichten. Das führt dazu, dass das Bild sehr eintönig wird, weil dort nur die negativen oder absolut dummen Sachen gezeigt werden. Doch was die Medien porträtieren ist nicht immer unbedingt so, wie es in Wirklichkeit ist, alles wirkt überspitzt, verrückt oder einfach nur voll von Kim Kardashians Hintern. Wenn wir also Menschen treffen oder mit ihnen arbeiten, werden wir oft eine andere Seite sehen, die weniger flach oder dramatisch ist. Man hat die Chance mit Menschen zu reden, die kreativ, nett und intelligent sind und ich hoffe, dass Leute das erkennen und differenzieren können.

Cristina: Oftmals verschmilzt diese Mediensicht auf die Welt mit der Realität. Mir fällt da ein gutes Beispiel ein: Als wir vor einigen Jahren unser Album „Shallow Life“ veröffentlicht haben, sprachen wir schon über diese platte Weltsicht und wollten diesen Gedanken in einem Fotoshoot umsetzen. Also haben Andrea und ich uns als Zuhälter und pinke Pop-Prinzessin verkleidet und es gab tatsächlich Leute, die die Masche ernstnahmen und daraufhin zu meckern begannen, dass wir unser Image geändert hätten. Da fiel uns erstmals auf, wie wenig manche Leute bereit waren, in die Tiefe zu gehen und die Ironie zu erkennen. Viele finden einfach ein Bild im Internet und sehen darin die absolute Wahrheit, aber das ist oftmals Quatsch, das sieht man ja allein daran, was passiert, wenn eine einzige Person eine Falschmeldung auf Twitter veröffentlicht und die sich dermaßen schnell ausbreitet, dass sofort jeder sie für die Wahrheit hält.
Dennoch ist es für die meisten undenkbar, ohne das Internet oder ein Handy zu leben…
Cristina: Ja, da gibt es viele Pros und Contras. Für uns persönlich ist moderne Technologie die einzige Möglichkeit, mit unseren Familien in Kontakt zu bleiben, wenn wir touren, aber manchmal überstrapaziert man es einfach – da bin ich sogar die Erste, die das von sich zugeben würde (lacht)
Andrea: Ja, wie jetzt zum Beispiel. Anstatt uns die Städte anzuschauen oder irgendetwas Cooles draußen zu machen, hängen wir Backstage ab, spielen an unseren Handys herum und surfen sinnlos bei Facebook. Das ist schon heftig, wenn man sich das überlegt.
Spielt ihr auch kleine, süchtigmachende Onlinegames?
Andrea: Nein, ich zocke zwar gern Spiele, aber so die klassischen Facebook-Games sind nichts für mich.
Cristina: Hey, ich bin voll gut in Bejeweled Blitz!!
Wie sieht es denn bei euch Zuhause aus, sammelt ihr irgendwas Spezifisches? Ihr bekommt ja massiv viele Geschenke auf Tour und Cristina, du hattest auch kürzlich ein Foto von deinem Sofa mit tausend Kuscheltieren gepostet.

Cristina: Mein Haus ist ein Saustall. Als ich eingezogen bin, wollte ich es so minimalistisch wie nur möglich halten in Hinsicht auf die Einrichtung, und zumindest in Sachen Möbel ist mir das auch gelungen, ich habe alles recht einfarbig gehalten und ohne Schnickschnack. Aber ich tendiere leider dazu, lauter Kram zu sammeln, den ich eigentlich gar nicht brauche. Ich bekomme unglaublich viele Geschenke von Fans und ich will sie alle behalten. Gut, aus logistischen Problemen musste ich mich manchmal schon von einigen trennen – wenn sie zu groß waren, um ins Flugzeug zu passen beispielsweise! Aber alles andere behalte ich und deshalb ist meine Bude voll mit Mitbringseln, Kleidung und witzigem Zeug. Immer wenn mich Kinder von Freunden besuchen, haben sie den Spaß ihres Lebens, weil ich ein regelrechtes Museum voller Kuscheltiere habe. Aber das passt zu mir und ich liebe es.
Ihr nutzt öfter übernatürliche Wesen wie Zombies oder Vampire als Metapher auf „Broken Crown Halo“ – Vampire liegen ja momentan mächtig im Trend, wie steht ihr zu dem Hype um „Twilight“?
Andrea: Oh, ich war nie ein großer Fan davon, um ehrlich zu sein…
Ist das irgendwer?
Andrea: Na, offenbar schon! Nein, diese neumodischen Vampire liegen mir nicht, ich mag eher ältere Gruselfilme, gerade in Italien haben wir einige tolle von früher, oder die klassischen Amerikaner wie „Nightmare On Elmstreet“ oder „Texas Chainsaw Massacre“ – deshalb ist „Twilight“ für mich eher ein Kinderfilm, er bringt mich mehr zum Lachen als alles andere.
Cristina: Es fehlt einfach das Charisma eines Vampirs, das gewisse Etwas, das Gary Oldman hatte. Edward ist regelrecht süß, das kann doch nicht angehen.
Andrea: Aber beißen lassen würde ich mich schon, ich bin nämlich irgendwie kein großer Fan vom Sterben (lacht)

Cristina: Ich entsinne mich dunkel einer Klobrille…
Andrea: Und das Rad eines Rollstuhls! Das war bei der Autogrammstunde auf einem Open Air und es gab Absperrungen vor unserem Tisch, sodass der Rollstuhlfahrer das Rad abschrauben musste, damit wir dran kamen und gleichzeitig musste er natürlich auspassen, dass er dabei nicht umfällt, das war schon wirklich klasse. Der Klositz hingegen war eher seltsam (lacht) Ansonsten gibt es natürlich immer viele Handys, Brüste oder Kleidungsstücke – ein Auto war auch kürzlich dabei.
In der Metalszene scheint man die SängerINNEN immer in zwei Camps aufzuteilen: Entweder man gilt als Diva oder als Mannweib und meist wird in den Medien vorausgesetzt, dass man als Frau eine große Arroganz mitbringt – warum glaubst du, ist das der Fall?
Cristina: Ich hatte bisher selbst noch nicht das Gefühl, dass ich in diese Schublade gesteckt werde, man hat natürlich ein gewisses Image, das man auf Bandfotos präsentiert und auf denen möchte man ja auch so aussehen, wie man es sich vorstellt. Für mich ist das aber keine Arroganz, sondern – hier haben wir den Begriff wieder! – Stolz. Denn ich möchte jedem Mädchen dort draußen den Eindruck vermitteln, dass es egal ist, wie man aussieht, solange man eine stolze und selbstsichere Ausstrahlung zeigt. Man kann super auf Menschen wirken durch sein Charisma, ohne dass man dabei perfekte Maße oder ähnliches hat. Darauf lege ich bei Facebook ja auch viel wert, meist poste ich auch Bilder von mir in Jogginghose und ungeschminkt. Aber ich weiß nicht, warum es so ist, dass in den Medien immer dieselbe Sicht auf weibliche Sänger der Metalszene gezeigt wird, grundsätzlich wird vorausgesetzt, dass wir uns alle untereinander hassen und angiften, aber das stimmt nicht. Die meisten von uns sind seit Jahren befreundet, wir hängen zusammen ab, wenn die Zeit es zulässt und liken unsere Fotos gegenseitig bei Facebook (lacht) Aber Menschen wollen wohl Drama und inszenieren deshalb gern solche imaginären Kriege zwischen den Sängern.

Vielen Dank an Cristina und Andrea für das Interview!

Interview : Anne Catherine Swallow, Headerfoto: Steve Prue

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