Interview mit EPICA – Quantenphysik, Therapien und Babys erster Auftritt

Als Stimmengel der holländischen Symphonic Metal Band EPICA  erlangte der unvergleichliche Rotschopf Simone Simons innerhalb der letzten zehn Jahre internationalen Kultstatus und beweist nun als frischgebackene Mutti, dass sie Multitasking auf höchstem Niveau praktiziert. Die im Mai erscheinende „The Quantum Enigma“ wird jetzt schon als  eine der besten Scheiben aus der Feder von Epica zelebriert, und das kann ich bestätigen, obwohl es mich zwang, diverse Physikbücher zu wälzen, um überhaupt das Konzept des Albums zu verstehen. Doch Simone kann das Ganze viel simpler erklären, plaudert nebenbei noch über ihr Lebens als Exilholländerin in Deutschland und außerdem gibt es hier exklusiv: Baby Vincents ersten Interview-Gastauftritt (zumindest fast)!
Anne: Hallo Simone, wie geht es dir? Fangen wir doch mal ganz simpel an: Welche Lieder singst du deinem Baby vor?
Simone Simons: Ja, aber ziemlich verrückte Sachen, die ich mir ausdenke beim Singen. Oliver und ich haben eine Parodie auf den Titelsong der „Addams Family“ mit unserem eigenen Text…
Mist, Kind müsste man sein… euer neues Album „The Quantum Enigma“ hat ja ein verdammt kompliziertes Gedankenkonstrukt als Konzept – als ich davon hörte, dachte ich, das sei garantiert auf Marks [Jansen; Gitarrist und Growler] Mist gewachsen, aber du hast ja scheinbar auch sehr viele Songtexte beigesteuert.
Ja, aber die Idee mit den Quanten stammt von Mark, wir waren letztes Jahr im Mai in Australien und diskutierten über das neue Album und er wollte unbedingt ein Konzept hinter der Scheibe haben und spielte mit verschiedenen Gedanken, die ihn zu dem Titel „The Quantum Enigma“ brachten. Er erklärte uns, um was es dort ging und wir waren ziemlich begeistert. Zugegeben, es ist ziemlich hoher Wissenschaftskram, aber kurz gesagt handelt es sich dabei um ein Experiment in der Quantenphysik, das besagt, dass Atome, wenn man sie beobachtet, eine andere Form annehmen, als wenn man sie nicht beobachtet. Aus dem Grund kann man nie genau wissen, wie die Realität aussieht und wir versuchen auf diesem Album herauszufinden, was die Realität eigentlich ist. Wie sehr das menschliche Gehirn in diesen Vorgang eingebunden ist – also eine sehr spirituelle, wissenschaftliche Angelegenheit.

Über den menschlichen Verstand zu schreiben, ist eine der interessantesten Sachen, kann aber auch schnell ungemütlich werden – hält Mark, da er ja Psychologie studiert hat, gelegentlich mit euch Therapiesitzungen ab?
(lacht) Nein, er hat Wirtschaftspsychologie studiert, also nicht die Art, wo man auf einem roten Sofa sitzt und über seine Ängste sprechen muss. Zwar ist er ein großer Denker und lässt vieles davon in seine Texte einfließen, aber er kommt nicht an und sagt „So Leute, jetzt legt ihr euch alle mal auf die Couch, ich hypnotisiere euch und schleiche mich in eure Psyche!“
Trotzdem behaupten viele Leute, dass man ein Mal in seinem Leben eine Psychotherapie machen sollte, selbst wenn man nicht „gestört“ oder psychisch krank ist, sondern einfach, um sich selbst zu finden – siehst du das ähnlich oder ist sowas gar nicht dein Fall?
Ich habe – ohne angeben zu wollen – eine recht gute Selbstreflektion. Mit meinem Mann spreche ich sehr häufig über mich selbst, meine Schwächen und meine Stärken, deshalb kenne ich sie recht gut. Und außerdem finde ich, dass Freunde und Familie viel bessere Therapeuten sind, da sie mich ja mein Leben lang kennen – wenn ich nun einer völlig fremden Person meine Lebensgeschichte erzählen müsste, würde ich mich vermutlich nicht wohl fühlen, deswegen bin ich froh, dass ich sehr enge Freunde habe, die mir helfen, wenn es nötig ist.
Das ist natürlich super – gibt es denn seltsame Angewohnheiten von dir, bei denen du weißt, dass du damit ständig andere Leute nervst?
Ich bin immer zu spät dran. Schon oft habe ich versucht, mir das auszutreiben, aber trotzdem erscheine ich meist ein paar Minuten später, als ich sollte, weil ich lieber entspannt irgendwo eintreffe, anstatt völlig in Hektik.
Das Cover eures neuen Albums ist ja wirklich detailliert und spannend, es zeigt einen Berg über dem Wasserspiegel und unter der Oberfläche einen Buddha – wie kamt ihr gerade auf diesen Buddha, eigentlich denkt man spontan doch eher, dass sich versteckt unter der Oberfläche etwas Düsteres und Negatives verbergen müsste?
Der Berg steht für das, was wir sehen, und dafür, dass das natürlich nicht alles ist, sondern die Realität viel tiefer liegt. Das Meer steht für das Geheimnisvolle und Mysteriöse, man sieht das Boot darauf und einige Tiefseetaucher, sie symbolisieren die Menschen, die immer wieder versuchen, unter die Oberfläche zu dringen und herauszufinden, was in der Tiefe wirklich vor sich geht.
Der Buddha steht wiederum für Spiritualität, auch wenn wir nicht alle Buddhisten oder gläubig sind, es ist mehr symbolisch gemeint.

Ist einer von euch in der Band denn religiös veranlagt?
Soweit ich weiß nicht. Wir finden alle, dass Religion eine gewisse Schönheit besitzt, aber es ist einfach nichts für uns.
Wie sieht demnach für dich der Sinn des Lebens aus?
Auf der Welt einen Unterschied machen. Das Leben in allen Zügen zu genießen und mehr in der Gegenwart zu sein, anstatt sich chronisch Sorgen um die Vergangenheit oder Zukunft zu machen. Jetzt, wo ich einen Sohn habe, denke ich natürlich mehr über die Zukunft nach als früher, man lebt aber auch viel bewusster und führt sich vor Augen, dass die eigene Zeit auf der Erde sehr begrenzt ist. Deshalb sollte man nicht nur das eigene Leben so toll wie möglich gestalten, sondern auch das der anderen.
Wie wirkt sich dieser Gedanke an deine eigene Sterblichkeit auf deine Musik aus, hast du manchmal Angst, sterben zu müssen, bevor du der Welt alles mitgeteilt hast, was du wolltest?
Ich habe noch unglaublich viele Projekte für mein Leben geplant… Das, Mutter zu werden, hat ja Gott sei Dank nun schon geklappt, aber da ich auch so großes Interesse an Musik und Kunst im Generellen besitze, denke ich oft, dass ich mehrere Leben bräuchte, um all das zu lesen oder zu hören, was mich tatsächlich interessiert. Eines Tages möchte ich auch meine Solokarriere noch ein bisschen vorantreiben, ich habe ein Jazz-Projekt mit meinem Mann, nur leider finden wir nie die Zeit daran zu arbeiten, er ist ja auch oft mit Kamelot unterwegs und irgendwann muss jeder mal seine Batterien wieder aufladen. Aber wenn mein Sohn ein bisschen älter ist, sollte das einfacher werden, Kinder werden ja auch unabhängiger… oder die Hölle bricht aus, das kann auch sein. Für seine sechs Monate ist er schon ziemlich auf Zack, hat einige Zähnchen und jede Menge Kraft!
Und planst du noch mehr von den kleinen Rackern zu haben?
In ein paar Jahren schon, aber momentan reicht mir der eine (lacht) Nun muss ich ja erst einmal schauen, wie ich ihn dauerhaft mit der Band unter einen Hut bringe, aber wenn er älter wird, kriegt er vielleicht noch einen Bruder oder eine Schwester…
(im Hintergrund meldet sich Baby Vincent zu Wort und quengelt)
Offenbar findet er die Idee nicht so gut…

Hehe, später wird er dann auch nach seiner Meinung gefragt. Er selbst war ja gar nicht geplant, aber das lief eigentlich ganz gut, denn oftmals, gerade wenn man es plant, klappt es ja nicht und verursacht nur unnötig Stress. Allerdings, wenn ich mir Sharon und Robert [von Within Temptation] anschaue, die drei kleine Kinder haben, dann ist es mir ein Rätsel, wie die beiden das organisatorisch hinkriegen. Vielleicht sollte ich sie mal anrufen und fragen, weil: Respekt!
Du sagtest ja bereits, dass du deinen Sohn nicht mit auf Tour nimmst, sondern Zuhause bei deinem Mann Oliver lässt – das ist ja eine ganz schön harte Aufgabe, die meisten Mütter würden ja völlig durchdrehen und könnten sich gar nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren… 
Es muss eben sein und ich habe mich von Anfang an darauf geistig vorbereitet, es so zu machen. Bisher war ich immer nur maximal eine Woche von Zuhause weg, aber es wird natürlich eine große Herausforderung. Man muss sein Gehirn auf Arbeitsmodus stellen und es einfach durchziehen, ich weiß ja, dass er bei meiner Familie in guten Händen ist und es geht ihm dort sicherlich besser als in einem Tourbus, deswegen muss ich das schaffen und zusehen, dass ich keine heulende Kugel der Verzweiflung werde. Aber außerhalb der Tour bin ich ja immer Zuhause und mache meine Arbeit von dort aus.
Die Band ist sehr verständnisvoll und wir sind wie eine riesige Familie über die Jahre hinweg geworden, haben unseren völlig eigenen Humor, unsere eigene Art zu Kommunizieren und könnten vermutlich auch gar nicht mehr ohne einander.
Oooch… also was ist denn so euer dümmster Running Gag, den ihr unter euch in Epica habt? Wie sieht euer Humor aus?
Total lächerlich. Manchmal sogar richtig nervig und kindisch und verdammt trocken!
Mittlerweile lebt ihr aus der Band ja verstreut über ganz Europa, du selbst hast dich ja in Deutschland niedergelassen. Als Exil-Holländerin, was magst du am meisten an Deutschland und was geht dir so richtig auf den Senkel?
Ich liebe die Natur hier in Deutschland, die alte Kultur und einfach die Landschaft (Das Baby meldet sich wieder im Hintergrund und schimpft unzufrieden vor sich hin) Sekunde, ich muss ihn mal kurz auf meinen Schoß nehmen… (Zu Vincent) Willst du das Interview mit mir machen? Noch ist er zwar kein Rockstar, aber er will bestimmt einen Gastauftritt hinlegen… Nein? Och, jetzt ist er still.

Wo war ich… ach ja: Ich mag die Leute hier in Deutschland, aber die vielen Regeln machen mich manchmal wahnsinnig, weil alles so strikt gehandhabt wird. Am Sonntag darf kein Krach veranstaltet werden, nicht Staubsaugen, die Mittagsruhe muss unbedingt eingehalten werden, aber man gewöhnt sich daran und ich liebe es, hier zu wohnen. Ich denke nicht, dass ich zurück in die Niederlande ziehen würde. Wo kommst du denn her?
Aus der Nähe von Hannover.
(schwingt von Englisch auf Deutsch um) Ach Gott, dann sprichst du ja hochdeutsch! Ich hab‘ völlig verpeilt, dass ich mit einer Deutschen spreche, hier stand irgendwas von Australien in meinem Plan und ich habe mich schon gewundert „Die hat aber einen komischen australischen Akzent..?!“
Und ich wusste wiederum nicht, dass dein deutsch dermaßen perfekt ist…
Doch, ich kann auch Deutsch, neben Englisch, ein bisschen Französisch und naja… Das Holländisch, das kommt mir mittlerweile etwas abhanden, wenn ich mit der Band rede, fabriziere ich manchmal ganz seltsame Wörter und die Jungs lachen mich aus mit „Buuh, das ist doch deutsch!“ (lacht)
Also sprichst du Zuhause nur deutsch mit deinem Mann? Oder kriegt dein Sohn alle Sprachen ab?
Mit dem Kleinen spreche ich deutsch und holländisch, aber mit Oliver rutsche ich auch manchmal ins Englische, deswegen haben wir einen ziemlich wilden Mix und ich bin schon gespannt, in welcher Sprache die ersten Worte meines Sohns herauskommen werden.

Interview: Anne Catherine Swallow

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