Interview mit Eluveitie – Von Obdachlosen und Wildschweinbezwingern

Dass Sabaton es schafften, unzählige Jugendliche für die Geschichte des zweiten Weltkriegs zu faszinieren, ist längst kein Geheimnis mehr, doch für die etwas frühere Ära sind nun ELUVEITIE zuständig. Die Schweizer um Sänger Chrigel Glanzmann befassen sich auf ihrem neuen Album „Origins“ wieder einmal mit dem Leben und den Sagen der Kelten und ähnlicher Völker aus der Antike und bringen mit ihrem aggressiv-melodischen Folk Metal wieder Spannung in verstaubte Bücher und längst vergangene Zeiten. Spätestens seit „Inis Mona“ sind sie nicht mehr aus der Szene wegzudenken, doch was die „Musikhistoriker“ zu solchen Themen inspiriert, warum einige von ihnen über ein Jahr obdachlos waren und wie man mit Hilfe eines Wildschweins zur Legende wird, wusstet ihr vielleicht noch nicht:
Anne: Fangen wir mal simpel an: Eure Texte beschäftigen sich großenteils mit Sagen der Gallier, Kelten oder Helvetier, was auf eurem neuen Album „Origins“ natürlich nicht anders ist. Möchtest du uns einfach mal kurz eine dieser Sagen vorstellen? 

Chrigel: Wir beschäftigen uns immer auf sehr fundierter, wissenschaftlicher Basis mit diesen historischen Themen und „Origins“ ist quasi das erste Album, das sich direkt um keltischen Sagen dreht. Es heißt ja „Origins“, also „Ursprünge“ und das ist auch der Inhalt des Albums, es beschäftigt sich mit ätiologischen Sagen und insbesondere Herkunftsmythen oder Gründungssagen von Städten. Ein Beispiel ist der Song „Celtos“, er beruht auf einer uralten Überlieferung einer Legende, die eben sagt, wie die Kelten in die Welt kamen. „Virunus“ ist auch eine Gründungssage einer damals wichtigen Stadt, die im heutigen Österreich lag.
Und wie genau wurde diese Stadt laut der Sage gegründet?
Es handelte sich um eine Hansestadt, die auf einem Berg lag, in der Eisen abgebaut wurde und die ein großes Handelszentrum zwischen Italien und dem Norden war. Der Legende nach entstand die Stadt so: Den Menschen ging es auf Grund des vielen Handels eigentlich immer gut, bis eines Tages von irgendwelchen Göttern gesandt, ein böses Wildschwein daher kam, das die Menschen terrorisierte und die Ländereien zerstörte. Jeder versuchte, diesen Keiler zu erlegen, doch niemandem gelang es – bis eines Tages so ein Kerl auftauchte, von dem keiner genau wusste, wo er herkam, dem es gelang. Der sich das Wildschwein um die Schultern legte und es tatsächlich besiegen konnte. Das ganze Volk hat ihm zugejubelt und war verblüfft, sodass es schrie „Ein Mann!“ und in ihrer eigenen Sprache war das „Vi Runus!“ und daraufhin wurde das der Name der Stadt.
Heutzutage ist man sich sicher, dass diese Sage erst weit nach der Gründung der Stadt verfasst wurde, denn es gab dort eine Rhetorik-Schule und vermutlich hatte sich einer der dortigen Studenten als Ziel gesetzt, seiner Stadt einen etwas fescheren Ruf zu verpassen, indem er diese Sage in die Welt setzte.
Also gab es schon in der Antike kleine Marketingabteilungen? Nun ist bekannt, dass ihr viel mit Forschern und Linguistikern zusammenarbeitet, wie ist es denn ganz konkret bei einem Song – nehmen wir mal die „Virunus“ Geschichte – hattest du diese irgendwo gelesen gehabt oder wurde sie von Wissenschaftlern an dich herangetragen?
Nein, ich habe zwar wieder mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet, bei vielen Texten jedoch diesmal ohne größere Unterstützung. Ich habe mich aber auf Vorarbeit von vielen Wissenschaftlern gestützt, es gibt einen österreichischen Doktor, der ein enormes Kompendium über sämtliche Mythen der damaligen Zeit zusammengetragen hat und sie darin diskutiert, das sind über 4000 A4-Seiten – die hab‘ ich alle gelesen.

4000 Seiten? Oh Gott!
Haha, ja. Und als ich daraus dann die Mythen ausgewählt hatte, die ich für Songs geeignet fand, habe ich die Geschichten noch einmal mit anderen Wissenschaftlern besprochen.
Würdest du selbst zu der Zeit der Kelten leben wollen, beziehungsweise denkst du, dass du damals zurecht gekommen wärst?
Ja, also nee, wünschen würde ich es mir nicht, erstens weiß ich ja eh nicht, wie es damals war und zweitens könnte ich es ja nicht beeinflussen. Jedes Zeitalter hatte seine guten und schlechten Zeiten und Menschen waren immer Menschen, aber letztendlich sieht man ein anderes Zeitalter nur von außen und es wird immer viel romantisiert. Von diesem ganzen „Früher war alles besser“-Gelaber halte ich gar nichts, denn das stimmt garantiert nicht, auch die Antike hatte ihre harten und negativen Aspekte. Aber unterm Strich waren Menschen immer Menschen. Genauso viele Arschlöcher und je mehr man sich mit Geschichte auseinandersetzt, desto stärker fällt einem auf, wie wenig wir uns eigentlich in den letzten viertausend Jahren verändert haben, nämlich überhaupt nicht. Wenn du heute die Zeitung aufschlägst, kannst du 1:1 dieselbe Scheiße lesen, wie sie schon vor vielen hundert Jahren passiert ist, da haben wir weder dazugelernt, noch haben wir uns gebessert.
Da gebe ich dir recht, wir kacken vielleicht nicht mehr in den Straßengraben, aber die Köpfe einschlagen tun wir uns nach wie vor wegen der sinnlosesten Kleinigkeiten. Naja – mittlerweile seid ihr ja hauptberuflich als Musiker tätig, wie lief denn bei euch die Übergangsphase, in der ihr euch gesagt habt, dass ihr alles auf eine Karte setzen wollt und eure „normalen“ Jobs aufgabt. Hattet ihr große Startschwierigkeiten oder ging das nahtlos?

Ja, ich hatte wirklich Schiss! Aber das war ein Schritt, den man halt machen muss, jede Band kommt einmal an den Punkt und muss es wagen. Wenn du wirklich wachsen willst als Band, musst du einfach alles investieren und alles geben, deshalb kannst du dir nicht erlauben, noch viele Jobs nebenher zu machen, schließlich musst du viel touren und live spielen. Dabei haben wir es hier in Europa noch ziemlich feudal, denn in Nordamerika zum Beispiel passiert rein gar nichts, wenn du nicht live spielst. Aber ja, das ist das Wichtigste, wenn du deine Karriere vorantreiben willst: Spielen, spielen, spielen!
Aber wenn du an diesem Punkt angelangt bist, wo du so viel Zeit investieren müsstest, um erfolgreich zu werden, bist du meist noch sehr weit entfernt davon, genügend Geld zu verdienen, um davon leben zu können. Also musst du einfach die Klippe runterspringen und hoffen, dass es gut geht. Bei uns war das 2009, aber es gestaltete sich sehr schwierig, hier in der Schweiz ist alles sehr teuer und als wir es wagten, blieben jedem von uns im Monat etwa 500 Schweizer Franken zum Leben, was so 300 Euro sind. Über ein Jahr hinweg waren sogar zwei unserer Bandmitglieder obdachlos.
Obdachlos?!
Jaja! Einer lebte in einem Proberaum ohne fließendes Wasser und ist immer in Restaurants auf’s Klo gegangen! Der andere hat sich ständig ein Mädel angelacht, bei dem er wohnen konnte, so haben die beide dann ein ganzes Jahr zugebracht, weil sie sich einfach kein Zimmer leisten konnten.
Aber dann arbeitest du eben einfach so hart es geht daran, zu wachsen und als Band weiterzukommen. Heute ist das anders, da hat jeder von uns seinen fixen Monatslohn, aber das ist immer noch nicht viel – wenn wir bei Aldi an der Kasse sitzen würden, könnten wir weitaus mehr verdienen als bei Eluveitie! Aber wir können alle gut leben davon und es ist in der Musik einfach so, dass man Risiken eingehen muss.

Mal eine saublöde Frage: Wie pflegst du deine Dreads, damit sie so hübsch aussehen und nicht wie das wilde Vogelnest von manch anderen Musikern?
Oh Gott, du bist die Erste, die die schön findet, eigentlich sind die total verwahrlost, weil ich sie kaum pflege! Eigentlich sollte man das wöchentlich machen, aber das kriege ich nicht auf die Reihe und ich trage ja eh immer eine Mütze. Ein oder zwei Mal im Jahr finde ich dann die Zeit, das mal in Ordnung zu bringen…
Kannst du das nicht auf langen Reisen im Tourbus machen, wenn du eh nichts zu tun hast?
Doch, genau das tue ich, ich nehme meist Pflegematerial und Nähzeug mit, wenn ich auf Tour bin!
Ihr geltet ja generell als ruhige Band, die nicht so sehr die Sau rauslässt, also ist das euer Geheimnis? Dass ihr auf Tour ausschließlich mit euren Haaren beschäftigt seid?
(lacht) Bei uns gibt’s schon Parties, so ist es nicht! Aber verglichen mit anderen Bands sind wir wohl eher ruhig, wir lesen alle gern und wenn der Bus fährt, hockt meist jeder auf seinem Bänkchen und liest ein Buch. Also eigentlich total langweilig. Aber nach der Show kann es durchaus mal richtig rund gehen. Ein Mal haben wir auch ein Hotelzimmer zerlegt, das ist uns aber sehr peinlich, wir waren besoffen und haben es eigentlich gar nicht mitgekriegt! Ist aber schon ganz ganz lange her…
Okay, letzte Frage, um den Zeitplan nicht zu sprengen: Geschichtsunterricht wird von vielen Schülern ja immer noch als Qual empfunden, weil es so trocken präsentiert wird. Nun hast du selbst auch schon an einer Universität doziert, hättest du Tipps für Schulen, wie sie ihren Unterricht für jüngere Leute spannender gestalten könnten?
Och, ich fand Geschichtsunterricht überhaupt nicht langweilig, im Gegenteil, ich ich war immer total enttäuscht, wenn die Stunde vorbei war! Wir haben aber von Geschichtslehrern schon einige Feedbacks gekriegt, dass sie unsere Songs im Unterricht verwendet haben und Joakim von Sabaton ist das auch schon oft passiert – ob das funktioniert, weiß ich aber nicht, ich war nicht dabei!
Besten Dank an Chrigel und Eluveitie – das neue Album der Schweizer steht ab dem 1. August in den Regalen und wartet sehnsüchtig auf ein neues Zuhause.

Interview: Anne Catherine Swallow

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