Interview mit Delain – Soziales Engagement, Klarinetten und Zelthelden

Wer an Delain denkt, hat zu allererst eine wunderhübsche Sängerin und starke, gefühlvolle Vocals im Kopf, doch hinter den Niederländern steckt weit mehr als nur ein schönes Gesicht. Obwohl Sängerin Charlotte Wessels mit ihren 27 Jahren noch recht jung ist, im Gegensatz zu den führenden Ladies in der Metalszene, weist sie einen geschäften Blick für soziale und politische Fehltritte in unserer Welt auf und versucht, sie so oft es ihr nur möglich ist, in ihren Songtexten zu verarbeiten. Beim Summer Breeze sprachen wir mit der charismatischen Frontfrau, feierten den Tag der lilafarbenen Haare und nutzen die Gelegenheit, um einige ihrer Lyrics genauer unter die Lupe zu nehmen.
Sound Infection: In „Army Of Dolls“ setzt du dich mit dem Selbstbild auseinander, das Menschen durch die Medien bekommen, ist das richtig? Nun existiert dieses Problem sogar schon in der Metalszene – ich hatte gehört, dass man dich für die Promofotos von „We Are The Others“ ganz schön gephotoshopt hat und das obwohl der Song ja eigentlich als komplett konträres Statement gedacht war…

Charlotte Wessels: Auf der einen Seite ist es frustrierend, dass es weiterhin überall passiert, auf der anderen Seite muss man bedenken, dass irgendwo jeder bei dem Problem mitwirkt. Es wäre leicht, den Medien die Schuld zu geben, aber man ist ja selbst Teil davon, wenn man Fotos schießt, von denen man weiß, dass sie in Magazinen oder auf CDs erscheinen werden. Und in dem Moment war ich nicht nur frustriert und sauer, sondern fühlte auch eine gewisse Verantwortung, als ich höflich fragte, ob man mir die ursprünglichen Bilder wieder aushändigen könnte. Und es war schockierend zu erfahren, dass die Menschen, die darum gebeten hatten, mich auf den Fotos dünner hin zu manipulieren, genau die waren, die wussten, dass es in unserem Song darum geht, sich selbst und andere zu akzeptieren, egal wie jemand aussieht. Da habe ich dann erstmals erkannt, dass die Leute weniger begeistert von der Message des Songs an sich waren, sondern nur so begeistert davon, mit einer solchen Message Geld zu verdienen.
Und das war wirklich hart, weil es um ein Thema [Anm. d. R.: Sophie Lancaster] ging, das mir persönlich sehr viel bedeutete. Sicherlich spielt Marketing immer eine große Rolle und jeder überlegt, wie er einen Song am besten promoten könnte, aber es ging für mich dann einfach zu weit, dass man mich auf einem Foto für den Song, der deutlich „We Are The Others“ heißt, mal kurz schlanker gephotoshopt hat.
Es kommen in den letzten Jahren ja immer mehr Bewegungen auf, von Leuten, die sich ganz klar als „pro-übergewichtig“, „pro-gleichgeschlechtliche Ehen“ und vieles mehr, bezeichnen, was auf der einen Seite natürlich super ist, andererseits finde ich es oftmals frustrierend, dass es in unserer heutigen Zeit überhaupt noch so etwas geben muss und es nicht einfach selbstverständlich ist, dass Leute akzeptiert werden, egal wie nun ihr Körpervolumen, sexuelle Vorliebe oder ihre Hautfarbe ist…
Ja, das ist es zwar durchaus, aber unterstützen tue ich die Bewegungen natürlich trotzdem, ich finde alles großartig, was den Leuten hilft, sich akzeptiert zu fühlen und sie selbst zu sein – zumindest solange dabei niemand diskriminiert wird.
In „My Body Is A Battleground“ scheint es jedoch so, als ob das lyrische Ich durchaus Psychopharmaka als Unterstützung zum Glücklichsein schätzt – oder habe ich da etwas falsch interpretiert?

Nein nein, eigentlich geht es mehr um die Industrie, die mit den Körpern von Menschen zu tun hat und diktiert, was gut für unsere Gesundheit und unseren Verstand ist. Sicherlich spielen Psychopharmaka auch einen Part darin, aber vor allem ging es mir um die Essens- und Kosmetikindustrie. An diesem Punkt frustrierte mich all das enorm, besonders, dass Geld eine so große Rolle spielt, wenn es um einen gesunden Lebensstil geht oder zumindest das Bild, das von einem gesunden Lebensstil vorgespielt wird. Natürlich bin ich sehr dankbar, dass es Medikamente gibt, ich verdanke ihnen mein Leben, weil mich vor einigen Jahren eine schwere Lungenentzündung heimgesucht hat und die Menschen vor hundert Jahren daran noch reihenweise gestorben sind, aber diese Industrie ist dermaßen geprägt von Geld und Habgier und das ist ethisch sehr fragwürdig. Als ich den Text geschrieben habe, hatte ich gerade eine sehr negative Erfahrung mit diesem Thema gemacht, die ich einfach verarbeiten musste.
Wie sehr treibt dich das Gefühl der allgemeinn Unzufriedenheit an? Glaubst du, dass Menschen generell unglücklich sein müssen, um gute Kunst hervorzubringen?
Nicht zwangsläufig, das wird wohl für jeden anders sein. Für mich sind negative Gefühle ein Antrieb für die Kreativität, denn wenn ich zufrieden bin, möchte ich eigentlich nur raus, Eiscreme essen und Spaß haben. Wenn ich hingegen unglücklich bin, setze ich mich direkt hin und schreibe irgendwelche depressive Scheiße auf… Deshalb kann ich schon sagen, dass meine Inspiration eher aus den dunkleren Ecken kommt, aber ich wälze mich nur ungern darin, sondern versuche in meinen Texten dann immer auch eine positive Note zu finden und Licht ins Dunkle zu bringen, weißt du?
Außer vielleicht bei „Scarlet“, einem Bonustrack auf der letzten CD… da war wirklich kein optimistischer Funken dabei. Aber das muss es ja auch geben…
Was hilft dir persönlich, aus solchen dunklen Löchern herauszukommen, im Ernstfall? Denn gerade wenn du dich viel mit politischen und sozialen Problemen auseinandersetzt, kann das auf Dauer ja enorm belastend sein…

Eben das Songschreiben hilft. Wenn es dir wirklich wirklich schlecht geht, und du etwas schreibst, selbst wenn es eigentlich nicht so toll ist, macht es einfach dich glücklich, DASS du etwas geschrieben und hervorgebracht hast. Diese Transformation eines negativen Gefühls in eine positive Sache heitert mich immer wieder auf, man findet ein Ventil und hat etwas getan – selbst wenn es jetzt nicht die Welt ändert.
Als Kind hast du Klarinette gespielt, wie kam das, war es eine freiwillige Sache oder die Idee deiner Eltern? Und spielst du heute noch gelegentlich?
Ich wurde jetzt nicht dazu gezwungen, aber da meine Mutter Klarinette spielte und Instrumente gelegentlich ja auch sehr teuer sein können, übernahm ich einfach ihre Klarinette, weil mir damals der Sound gefiel. Zuerst spielte ich Flöte, wie so ziemlich jedes Kind, die ist einfach zu lernen und gut als Einstieg. Danach habe ich mich mal am Saxofon versucht, das hat aber nicht sonderlich gut hingehauen – erst mit 13 oder 14 habe ich dann meine Eltern angebettelt, dass ich meine Klarinette für Gesangsstunden eintauschen darf. Im Prinzip würde ich gern noch ein Instrument spielen, Gitarre oder Klavier vielleicht, weil man es beim Singen nebenbei spielen kann – denn egal, wie brillant ich Klarinette spielen könnte, singen fällt da grundsätzlich flach (lacht). Ich klimpere manchmal darauf herum und finde schöne Melodien beim Songschreiben, wirklich offiziell spielen kann ich aber nichts.
Wenn du Präsident eines Landes werden würdest, was wäre deine erste Amtshandlung?
Wieder zurücktreten! Haha, nein, ich bin zwar ein sehr politischer Mensch, aber ein Land regieren könnte und wollte ich einfach nicht. Mir reicht es ja schon, wie kritisch manche Taten von einem als Musiker begutachtet werden, als Präsident würde ich da vollkommen paranoid werden und gar nicht mehr wissen, was ich sagen oder tun soll, ohne dass man es mir unvorteilhaft als Schlagzeile auslegt oder schreckliche Fotos von mir auf der Titelseite erscheinen.
Allerdings habe ich großen Respekt vor jedem, der in der Politik arbeitet, das sind harte Jobs und wenn du in einer einzigen Rede mal etwas Dummes gesagt hast, ruiniert es dir sofort die ganze Karriere. Lieber engagiere ich mich „nebenher“ in der Politik. Aber wenn ich das Sagen hätte, würde ich vermutlich erst einmal alles ändern, was der Natur oder den Tieren schadet, den Fleischpreis hochsetzen, die Benzinsteuer ebenfalls – alle würden mich leidenschaftlich hassen!! (lacht)
Gehst du gern auf Festivals als Besucherin oder ist die klassische Schlamm- und Dixiklo-Schlacht nicht so dein Fall?
Doch, ich liebe es und habe es früher viele Jahre gemacht, immer mit meinem Zelt. Aber aus Zeitgründen gehe ich mittlerweile fast nur noch auf einzelne Konzerte, da Festivals, auf die ich gehen würde, sich meist mit denen überschneiden, wo wir spielen. Aber ich liebe die Festivalatmosphäre, die Party, das Schwitzen und Drei-Tage-Nicht-Duschen, es macht einfach unglaublichen Spaß. Das sieht man mir zwar jetzt, mit meinen gemachten Haaren und falschen Wimpern nicht an, weil ich gerade im Bühnen-Charlotte-Modus bin, aber eigentlich bin ich ein echter schweißtriefender Festivalmensch!

Interview: Anne Catherine Swallow

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