Interview mit Anneke Van Giersbergen – Lieber glücklich als reich

Wenn Anneke Van Giersbergen, Ex-Sängerin von The Gathering und nun Solokünstlerin, spricht, findet man sein kleines, totgeglaubtes Herz wieder – nicht nur wegen ihrer sanften Feenstimme, die vermutlich genau die ist, die man hört, wenn man jemals auf einer Rolltreppe gen Himmel aufsteigt, sondern auch auf Grund ihrer Weltansicht, die verträumt, aber keinesfalls naiv oder verklärt wirkt. Kurz gesagt: Meine nächste Therapie würde ich gern bei genau dieser Frau machen. Neben Liv Kristine, Tarja Turunen oder Sharon Den Adel zählt sie zu den Urgesteinen der Ladies im Gothic Metal, hat die düster-progressiven Töne von The Gathering mittlerweile jedoch eher hinter sich gelassen und probiert sich immer wieder an neuen Facetten der Rock- und anspruchsvollen Popmusik. Auch ihr 2013 erschienenes Album „Drive“ führte sie wieder quer durch die Welt und das Summer Breeze war ebenfalls eine Haltestelle auf ihrer rastlosen Reise – wir fingen den rothaarigen Lockenschopf für euch ab, um uns ein paar Lebensratschläge zu holen, die man so schnell nicht vergisst.
Sound Infection: Anneke, jetzt mal von Frau zu Frau: Du bist erfolgreiche Musikerin, Mutter, Ehegattin und chronisch auf Tour unterwegs – wie bekommst du all das unter einen Hut, wie sieht dein normaler Tagesablauf aus, wenn du sowohl deiner Arbeit nachgehen, als auch deinen kleinen Sohn unterhalten musst?
Anneke Van Giersbergen: Manchmal hat ein Tag einfach nicht genügend Stunden. Aber dieses Problem hat jede arbeitende Mutter, ich versuche einfach meine Zeit klug einzuteilen und an allen Fronten mein Bestes zu geben. Aber natürlich hat man auch oft die Sorge, dass man manchen Aspekten des Alltags nicht genug Zeit zukommen lässt und das kann sehr verunsichern, aber alles auf einmal kann man nicht tun, das muss man sich auch eingestehen.

Wie unterhältst zu denn deinen Sohn, wenn ihr auf langen Busreisen unterwegs seid?
Gott sei Dank gibt es heutzutage iPads, Onlinespiele, Filme… aber so oft es geht, spielen wir natürlich selbst mit ihm, er liebt die Jungs in der Band und jeder beschäftigt sich mal mit ihm.
Du hast in den letzten Jahren mit vielen hochkarätigen Musikern zusammengearbeitet, wie Devin Townsend oder Danny Cavanagh und sagtest, dass du dabei noch sehr viel Neues in Sachen Songwriting gelernt hast. Das überraschte mich fast, da du ja im Musikgeschäft auch längst ein „alter Hase“ bist und so viel eigene Erfahrung und Technik mitbringst – was genau konntest du also noch lernen?
Es ging mir hauptsächlich darum, wie sie über die Musikwelt sprechen und sich in dieser stets verändernden Welt positionieren. Nichts bleibt jemals dasselbe und du musst immer kreativ dabei bleiben und dich neu erfinden und wieder neue Schritte zu wagen, um am Ball zu bleiben. Ich habe von ihnen auch gelernt, dass man am besten seinem Herzen folgt und das tue ich als Mutter eh meist – Devin ist einfach insgesamt eine so inspirierende Persönlichkeit!
Wirst du heute Abend mit ihm zusammen performen?
Ja, natürlich! Ich freue mich so unglaublich darauf.
Die Fans auch, jeder hier hat schon hoffnungsvoll spekuliert, ob du heute bei ihm dabei sein wirst. Um zu deinem letzten Album zu kommen: Im Song „My Mother Said“ setzt du dich mit der bedingungslosen Unterstützung auseinander, die du als Kind von deinen Eltern bekommen hast, was nichts Selbstverständliches ist, wenn das Kind sich hauptsächlich für Kunst und Musik interessiert. Denkst du, dass es schwieriger ist, ein kreatives Kind zu erziehen, weil es um einiges zerbrechlicher und sensibler ist?
Ja, das ist eine gute Frage. Mein Sohn ist auch ein sehr kreatives Kind, aber er ist sehr sensibel und man muss enorm viel Zeit dafür aufbringen, sich gebührend mit ihm auseinanderzusetzen und seine Welt kennen zu lernen. Alles um ihn herum ist so magisch und anders, er erfindet ständig komplexe Geschichten und erschafft sich eigene Welten und um in diese vorzudringen, braucht es viel Zeit. Aber das ist großartig, zwar macht ihn das anfälliger für Kritik und Enttäuschung, aber dafür ist er in der Lage, sehr viel Großes zu erschaffen, wenn er dran bleibt.
Nun hast du selbst ja – erfolgreich – den Weg zum Künstlerdasein eingeschlagen, aber viele Eltern machen sich Sorgen, wenn ihre Kinder „nur“ solche Interessen haben und wissen nicht, ob es gut ist, diese zu unterstützen oder dem Sprössling nahe zu legen, lieber einer „handfesten“ Tätigkeit nachzugehen…

In diesem Fall wäre das Kind aber nicht glücklich. Ich beobachte oft, wie viel mein Sohn zeichnet und wenn er das nicht weiter tun dürfte und ich ihn in „normale“ Interessen schubsen würde, wäre er unzufrieden. Manche Menschen haben einfach einen inneren Zwang, neue Dinge zu erschaffen und sich von Träumen leiten zu lassen – sicherlich fehlt daraufhin dann häufig das Geld, aber weißt du… es ist besser glücklich zu sein, als reich zu sein.
Oh Anneke, das drucke ich mir fett aus und hänge es mir übers Bett! Was hat dir als Kind am meisten Angst gemacht?
Hmmm… vermutlich genau dieses Thema. Nicht glücklich zu sein, niemals meinen Weg zu finden und einfach unterzugehen. Aber ich wusste von klein auf, dass ich etwas im Musikbereich machen wollte, so in etwa mit zehn begann ich zu singen und fand damit schon recht früh mein Ziel im Leben – das musste ich dann nur noch erreichen, aber wenigstens hatte ich einen Plan.
Ansonsten hatte ich als Kind immer Angst, dass Leute mich nicht mögen oder auch einfach nicht verstehen würden. Denn vielen kommt es komisch vor, wenn man sich nur mit Musik beschäftigt und hofft, daraus mal einen Job machen zu können, man wird schnell als naiv abgestempelt und lächerlich gemacht. Dir ging es sicher ähnlich im Leben, mit deinen lila Haaren, oder? Aber wenn du lernen kannst, dir daraus nichts zu machen und keine Angst davor zu haben, dann findest du dein Glück. Ich umgebe mich nur noch mit Leuten, die respektieren, was ich tue und die ich liebe – klar, in der Pubertät wünschst du dir immer, dass jeder dich mag, aber das ist einfach gar nicht möglich!
Wo wir beim Thema Jugendliche und ihren Weg in die Musik sind – Tarja Turunen nimmt dieses Jahr als Jurorin bei The Voice Of Finland teil. Würdest du dich auf für so etwas bereit erklären oder denkst du, dass solche Shows nicht der richtige Weg sind, um jungen Musikern ins Musikgeschäft zu verhelfen?
Ich weiß es gar nicht so genau… vermutlich würde ich darüber nachdenken, wenn man mich bitten würde. Ich würde auf jeden Fall nicht sofort ablehnen, weil ich es eigentlich mag, mit jungen Talenten zusammen zu arbeiten, andererseits… ich schaue manchmal „The Voice Kids“ und finde nicht gut, wie viel Druck man den Kindern in so jungen Jahren auflädt. Vielleicht bin ich da nur altmodisch, aber ich denke, dass Kinder noch ein wenig Zeit brauchen, um sich eine solide Basis zu erschaffen und herauszufinden, wo es sie genau hinzieht und wenn sie singen wollen, dann auf welche Art und Weise. Denn Singen ist ja nicht nur das Umsetzen von Noten, die Musik muss gefühlt werden, man sollte sich mit ihr Identifizieren können und da seinen eigenen Geschmack und Stil zu finden, dauert einfach. Ein zwölfjähriges Kind ins Rampenlicht zu stellen und zu sagen „So, jetzt mach mal“ finde ich nicht sehr förderlich für den gesunden Reifeprozess – aber das ist nur meine eigene Meinung.

Kürzlich habe ich In Flames dieselbe Frage gestellt und die waren absolut entsetzt, denn selbst wenn ein junger Musiker diese Show gewinnt, kann er sich damit den ganzen Lebenslauf zerstören und bleibt für immer „dieser Typ aus der Castingshow“…
Ich selbst würde auch NIEMALS in so einer Show teilnehmen, als Coach ja, aber nicht als Sänger, weil das wirklich übel ausgehen kann. Selbst wenn man Talent hat, bleibt das Stigma der Show immer an einem kleben und das tut mir Leid. Viele scheitern daran kläglich.
Ich gehe davon aus, dass dir die Frage, wie man sich als Frau in der Metalszene behaupten kann, schon zum Hals herauskommt, deswegen würde ich gern mal über die weiblichen Fans sprechen. Denn gerade in der Rockszene wird man als Fan immer sehr schnell als „Groupie“ oder „hysterisches Kreischgirlie“ abgestempelt, wenn man mit Leib und Seele dabei ist und es auch zeigt. Wie denkst du, sollte man sich als weiblicher Fan verhalten, ohne sich dabei peinlich zu machen?
Oh Gott… ich glaube, einfach wie ein normales menschliches Wesen, oder? (lacht) Man kann ein Groupie ja eigentlich von einem Fan und Musikliebhaber unterscheiden – aber in der Metal- und Rockszene braucht es vermutlich beides. Außerdem gibt es ja auch männliche Groupies, das darf man nicht vergessen…
Hast du etwa welche?!
Nein, hab ich nicht, verdammt!! (lacht) Ich bin soooo „not Rock’n’Roll“! Ich trinke meist Wasser, schlafe viel und bin auch sonst total langweilig. Aber es ist toll, dass es viele Frauen in der Metalszene gibt mittlerweile, das macht sie viel komplexer und farbenfroher – ich sag ja: Dein Haar! – und so soll es ja auch sein. Selbst die härteste Szene braucht softe, melodische Stellen.
Was war das erste Konzert, das du als Kind oder Jugendlicher gesehen hast?

Oh, mein erstes Konzert war Prince im Jahr 1988! Ich war so begeistert von ihn und eine Lehrerin in meiner Schule – eine Religionslehrerin! – hat mich und ein paar meiner Klassenkameraden dort mit hin genommen, ich kann mich noch an jede einzelne Sekunde erinnern!
Wenn du dein Leben unter einer großen Headline zusammenfassen würdest, was wäre das?
Mann, du hast echt gute Fragen, lass mich mal überlegen… vermutlich würde ich das gar nicht tun, es wäre so schade, alles Erlebte zu einem Satz zusammen zu fassen. Selbst wenn ich ein riesiges Buch schreiben dürfte, wäre es dennoch nicht das Gleiche. Ich erinnere mich gern an Momente aus meinem Leben, wie eben dieses Prince Konzert oder die Geburt meines Sohnes, aber das auf Papier zu bringen, wäre unmöglich, es würde dem gar nicht gerecht werden. Aber am ehesten vielleicht noch „Leben einer Ruhelosen“.

Interview:  Anne Catherine Swallow

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