IN FLAMES Interview – Castingshows, Fußball und wer als erstes Feuer fängt

Nichts kann die Göteborger Melodeath-Väter von IN FLAMES bremsen – erst recht kein Berliner Berufsverkehr. Obwohl Gitarrist Niclas Engelin am Morgen des großen Promo-Tages in unserer Hauptstadt mit ein paar organisatorischen Problemchen zu kämpfen hatte, bekamen wir ihn dennoch gutgelaunt dazu, uns Frage und Antwort zu stehen anlässlich des neuen und mittlerweile elften In Flames Knallers „Siren Charms“. Denn auch musikalisch standen die Schweden niemals lange im Stau, sondern entwickelten sich mit jedem Album stilistisch weiter, sodass sie längst in keine Schublade mehr zu stopfen sind, sondern ein Unikat aus elektronischem Death Metal mit eingängigen Melodien und unverwechselbar klaren bis sogar sanften Vocals darstellen.
Anne: Hi Niclas! Euer Neuling „Siren Charms“ steht in den Startlöchern und die Idee, euch darauf mit der Metapher von Sirenen zu beschäftigen, fand ich klasse. Was wäre denn deine persönliche „Sirene“, deine Versuchung, die dich immer wieder lockt, obwohl du dagegen anzukämpfen versuchst? 

Niclas Engelin: Oh, wow… also jetzt gerade… wäre es vermutlich die Versuchung, unzählig viele Vinyls bei Ebay zu kaufen. Am besten in allen Farben und limitierten Editionen, da kann ich einfach nicht widerstehen! Wenn man nur tief genug wühlt, findet man so viele geniale, aber teilweise auch seltsame Platten, wo man sich fragt ‚Gott, brauche ich das denn wirklich?‘ – und die Antwort wäre zwar meist ‚Nein!‘, aber verdammt, die sehen so unglaublich cool aus! (lacht)
Das Problem habe ich immer mit Bandshirts… Wie groß ist denn deine Vinylsammlung mittlerweile?
Also mehrere hundert bestimmt. Das sammelt sich so über die Jahre hinweg an.
Deine Bandkollegen Björn und Peter besitzen ihr eigenes Restaurant in Göteborg, euer Sänger Anders seine eigene Biermarke – du selbst wirst neben In Flames und deinen anderen Bands vermutlich kaum Zeit für coole Spielereien haben, dennoch, wenn du sie hättest, was würdest du gern in dieser Hinsicht organisieren?
Neben der Musik, meinst du? Ha, ich würde mein eigenes Fußballteam starten! Ich liebe Fußball! (lacht)
Als du jünger warst, wolltest du ja auch erst Fußballer werden statt Musiker, oder?
Ja, früher war das mein Traum, aber der Konkurrenzkampf ist unglaublich hart und dann kamen auch noch Judas Priest! Ihre Alben haben mich dermaßen gepackt, dass ich daraufhin nur noch Augen für Metal hatte. Trotzdem liebe ich es nach wie vor, Fußball zu spielen!
Spielst du nur oder warst du in letzter Zeit auch ein heftiger Miteiferer bei der Weltmeisterschaft?

Ich habe es auf jeden Fall geschaut, trotzdem gefällt es mir viel besser, selbst zu spielen, anstatt es im Fernsehen zu verfolgen. Ich muss eher draußen auf dem Feld sein, als auf dem Sofa zu sitzen, weil ich mich dabei viel zu sehr aufrege! (lacht)
Wer waren denn deine Spieler-Idole, als du noch aktiv dabei warst?
Ich habe schon immer Liverpool geliebt, Ian Rush, Sammy Lee und Kevin Keegan natürlich, dieses Team damals war einfach unschlagbar. Aber auch unser Göteborger Team war in den Achtzigern eine ganz große Nummer!
Okay, um zurück zu eurem neuen Album zu kommen: Es wurde hier in Berlin in den Hansa Studios aufgenommen, wie kam es denn zu einer solchen Entscheidung? Besaßt ihr nicht auch mal euer eigenes Studio in Schweden?
Ja, wir hatten mal eins, mittlerweile aber nicht mehr, deswegen entschieden wir uns für die Location in Berlin, die eine wirklich fantastische Atmosphäre hat. Mir selbst war es relativ egal, dass Bono oder Iggy Pop dort schon Musikgeschichte schrieben, da mir diese Bands eigentlich nichts bedeuten, sicher gibt es dort einen gewissen magischen Vibe in den Wänden, aber wenn es mir um diesen Vibe gegangen wäre, hätte ich lieber meine Zelte in Birmingham aufgeschlagen – und dort das Album aufgenommen, wo schon Judas Priest oder Black Sabbath vorher waren.
Dennoch war es wirklich genial hier in den Berliner Hansa Studios, die Stadt hat eine so inspirierende Geschichte, die besonders an kalten Herbsttagen zur Geltung kommt, wenn man sich in den Kopf ruft, dass man nur wenige Meter von der ehemaligen Mauer entfernt sitzt.
Was war bisher die längste Zeit, die du an einem einzelnen Song saßt? Und warum gehen manche Lieder so locker von der Hand, während man andere einfach niemals fertig zu stellen scheint? 
Puh, gute Frage, es stimmt natürlich: Manche Songs bekommt man in fünf Minuten gebacken, sie gehen so locker von der Hand und man weiß sofort, dass sie funktionieren werden, während man an anderen Tracks manchmal zwanzig Jahre lang sitzt! Manche Songparts, die ich für Engel [Niclas‘ Nebenprojekt] geschrieben habe, stammen noch von 1992! Ich sammle im Laufe der Jahre einfach, und wenn ich Glück habe, gelingt es mir, diese Parts irgendwann zusammenzusetzen. Das ist ja das Gute an Musik, sie altert nicht oder überschreitet ein gewisses Haltbarkeitsdatum (lacht)

Dennoch kann man sich als Künstler sicherlich auch die „Sicht versperren“, schätze ich mal, wenn man zu lang an alten Ideen festhält, sie aber nicht unterbringen kann. Woher weißt du also, ob du einen Song für immer in der Schublade verschwinden lässt oder doch noch einmal alle Energie dran setzt, um ihn fertig zu stellen?
Gute Frage… meist überwinde ich mich dann, die Ideen einfach beiseite zu legen und im Keller zu verstauen für eine Weile. Aber dann, ein paar Jahre später, kommt dir plötzlich in den Sinn, dass da irgendwo noch was herumliegt und du denkst nur „HA!“ und plötzlich hat die Idee ihren Bestimmungsort gefunden. Ich liebe diese kleinen kreativen Prozesse, über die man sich immer wieder selbst wundert.
Du hast ja auch immer wieder betont, wie wichtig es als Musiker oder Künstler im Generellen ist, starrköpfig zu sein und nie das zu tun, was andere einem sagen. Aber manchmal verliert man dann doch den Glauben an sich selbst und fragt sich, ob es all die Mühe wert ist. Gab es in deiner langen Karriere schon Zeiten, in denen du so frustriert warst, dass du alles hinschmeißen und einem „normalen“ Job nachgehen wolltest?
Ein einziger Tag.
Nur einer?!
Ja, einer. Es muss so um 2002 herum gewesen sein, da fiel mir meine Gibson Les Paul – zu der Zeit hatte ich noch eine – direkt auf den Beton, paff! Und ich sah das als Zeichen dafür, dass ich vielleicht einfach nicht Gitarre spielen sollte, und sagte mir: Sei doch einfach nur weiter ein Bauzeichner. Ich nahm die Straßenbahn nach Hause und verfluchte alles während dieses einen Tages. Das war’s aber auch schon, die restliche Zeit über liebe ich viel zu sehr, was ich mache, als dass ich jemals mit dem Gedanken spielen würde, aufzuhören.
Wie ist deine Meinung zu Casting-Shows? Ich schätze bei euch gibt es auch einen „The Voice“ Verschnitt, wo junge Talente von Profimusikern gecoacht werden – wenn man dich bitten würde, als Coach bei einer solchen Show mitzuwirken, würdest du es tun?

Nein! Da sind so viele falsche Illusionen im Spiel und ich hatte selbst einen völlig anderen Background. Meine Freunde und ich hingen in Jugendzentren ab, spielten dort Musik, wenn wir Lust hatten, aber wenn uns nicht danach war, kickten wir eben Fußbälle oder ähnliches. Und das gibt einem Freiheit. Die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Musik man mag, was man selbst für welche machen möchte, welches Instrument einem am meisten liegt und so weiter.
Wenn ich mir dann solche Shows ansehe, werde ich manchmal richtig wütend, gerade wenn solche „Juroren“ wirklich grausam zu Teenagern sind und sich öffentlich über sie lustig machen. Sie machen die jungen Leute klein und stellen sich selbst als große Stars da, die es geschafft haben und deshalb das Recht haben, andere zu verurteilen. Dabei werden so viele Träume und Hoffnungen zerstört, fuck, don’t do that! Wir alle haben eine Verantwortung für die jüngere Generation von Musikern und sollten diese nicht gleich im Kern ersticken. Musik ist Freiheit, Musik ist Leben und sollte ein ewig fließender Strom von Zufriedenheit sein.
Sehr treffend formuliert, Niclas, danke! So, kleine Scherzfrage zum Abschluss: Wenn eins eurer Bandmitglieder in Flammen stehen würde, wer wäre das und wie wäre der kleine Unfall passiert?
Haha, das ist ganz leicht: Daniel, der Schlagzeuger! Er wird von Feuer magisch angezogen, wir müssen ihm schon immer sagen „LASS DAS!“ und er so „Aber es ist doch nur ein ganz kleines Feuer“ und wir dann wieder nur „Nein. Wir wissen ganz genau, dass hier gleich alles brennt!“.
Wir bedanken uns herzlich bei Niclas und der Feuer-Crew und reiben uns die Flossen in freudiger Erwartung auf die anstehende Deutschlandtour, die am 30. September in Hamburg loslegt und die Schweden einen Monat lang durch unsere Gefilde treibt.

Interview: Anne Catherine Swallow

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