DORO Interview – Großes Kino, Lemmy, Schicksalsschläge und die aktuelle Lage der Welt

Doro Pesch ist eine Ikone, die kaum weitere Erläuterungen benötigt – seit über dreißig Jahren steht sie felsenfest in der Metalbrandung, in den Achtzigern noch mit ihrer Kultband Warlock, mittlerweile als Soloact, doch immer noch mit dem gleichen Feuer (und beeindruckenderweise dem selben Aussehen) wie damals. Auf Wacken gehört sie längst zum Inventar, Judas Priest, Saxon oder Lemmy zählen zu ihren engsten Verbündeten und kaum eine Frau hat die härtere Musikrichtung so geprägt wie sie mit ihrer rauchigen Rockröhre. Während ihr kommendes Album noch in der Mache ist, gibt es für ihre Fans jetzt schon eine Zwischenmahlzeit – und so hat Doro mit ihrer Band letztes Jahr ein Crowdfundingprojekt ins Leben gerufen, um zu ihrer Single ‚Love’s Gone To Hell‘ ein aufwändiges, liebevoll inszeniertes Musikvideo zu drehen, das am 22.März in Hamburg Premiere feierte. Wir fingen die dauerhaft gutgelaunte Kultsängerin natürlich ab, um mit ihr über eben jenes Video zu plaudern, aber auch über Lemmy, ihre spirituelle Neigung, heftige Schicksalsschläge und die aktuelle Lage der Welt.

Sound Infection: Doro, dein neues Video ist ein echtes Mammutprojekt gewesen und das sieht man dem Clip auch wirklich an! Hast du dir das Skript zu dieser Inszenierung selbst ausgedacht oder wie entstand die Idee zu der Geschichte?
Wir haben es zusammen mit dem Videoproduzenten Tobias Langer ausgearbeitet und auch gleich verschiedene Enden gedreht, weil wir zu Anfang gar nicht wussten, wie die Story ausgehen soll – ein paar Sachen waren uns dann doch zu hart und abgedreht, und als wir uns mit der Plattenfirma zusammengesetzt hatten, kamen alle zu dem Entschluss, dass wir ein etwas positiveres Ende brauchen und ich im Krankenhaus wieder aufwache und trotz aufgeschnitteren Pulsadern noch einmal gerettet werde! In der heutigen Zeit ist aber alles so heftig, deshalb wollten wir kein allzu tragisches Ende.
Auch die Auswahl der Locations war klasse, ihr habt nicht nur hier im Hard Rock Café Hamburg gedreht, sondern auch im Zwick und Schloss Bückeburg…
Genau! Das letzte Video haben wir ja im New York gedreht, sodass wir uns diesmal überlegten: Entweder Amsterdam, London oder eben Hamburg. Und ich kannte noch jemanden, meinen früheren Bodyguard Jimmy, der sich hier auskennt und sofort ganz begeistert zahlreiche Vorschläge schickte, als wir nach seinen Ideen fragten – so kamen wir zu den Drehorten hier. Und da der Song hier entstanden ist, zusammen mit Andreas Bruhn, passte das einfach schön und die Wahl fiel auf Hamburg, sowie Schloss Bückeburg – das ganz einfach weil ich Burgen und Ruinen liebe und dieser Song brauchte einfach etwas Edles, neben den Bars und Spelunken. Aber im Zwick zu drehen war auch fantastisch, die Leute dort ließen uns einfach unser Ding machen… da gingen auch ein paar Stühle zu Bruch (lacht). Bei der Prügelszene zwischen dem Schauspieler Pascal Haufe und unserem Gitarristen Bas sollten natürlich auch die Fetzen fliegen, aber das war im Zwick kein Problem. Im East Hotel haben wir dann die finale Szene gedreht, in der ich Selbstmord begehe, ich kenne das Hotel seit langem und war dort oftmals während Wacken untergebracht. Am lustigsten war aber der Dreh im Krankenhaus. Wir schlugen da auf, als gerade ein junger Arzt sein Vorstellungsgespräch hatte und wollten wissen, ob wir uns ein paar technische Geräte und einen Doktor für die Szene leihen könnten. Und der Arme, der das Vorstellungsgespräch hatte, wurde dann vom Chef gefragt, ob er nicht den Part spielen will und tja – ich hoffe, dass er jetzt natürlich den Job hat! Der wusste gar nicht, wie ihm geschieht, aber beim Vorstellungsgespräch kann man ja schlecht ’nein‘ sagen! (lacht) Ach, ich bin gern in Hamburg und besonders die Reeperbahn ist absolut einzugartig.
Es wundert mich ja, dass du weiterhin eine so enge Bindung zu Hamburg hast, obwohl du bereits in viel spektakuläreren Metropolen gelebt hast – New York zum Beispiel.
Ja, dort wohne ich immer noch!
Aber soweit ich weiß, wurden deine Wohnungen dort mehrmals zerstört und du hast alles verloren. Nun gab es gerade gestern wieder diesen schrecklichen Terroranschlag in Brüssel, wird dir in solchen Momenten dann mulmig, wenn du bedenkst, dass du auch in eine der größten Metropolen lebst oder blendest du solche Gedanken komplett aus?

Ich bin aus Manhatten weggezogen, weil die Anschläge auf das World Trade Center auch meinen Wohnkomplex getroffen hatten, das Haus war einsturzgefährdet und wir durften nicht mehr hinein. Daraufhin bin ich nach Long Island gezogen, weil ich es für sicherer hielt, aber dort kamen zwei Mal kurz hintereinander so schwere Hurricanes, dass wieder meine ganze Wohnung platt war. Alles, was ich jemals gesammelt habe, Klamotten, Fangeschenke, alles war weg. Ich habe oftmals das Gefühl, dass heutzutage nichts mehr sicher ist, auch in Sachen Naturkatastrophen… besonders wenn wir auf Tour sind. In den USA steckten wir wieder in einem tiefen Schneegestöber fest mit unserem Tourbus, anderthalb Meter hoher Schnee… wir bekamen Panik, weil in vielen Städten schon Fahrverbot herrschte, aber mit Mühe und Not schafften wir es bis zur Halle – und auf Metalfans ist Verlass. Sie waren alle da und ließen sich nichts anmerken. Keine Ahnung, wie sie es gemacht haben, weil nichts mehr fuhr, aber sie waren nicht aufzuhalten. Ich habe aber dennoch das Gefühl, dass Touren schwerer und gefährlicher wird, als damals in den Achzigern. Bald gehen wir wieder in die Ukraine und hatten bei dem Gedanken erst gar kein gutes Gefühl, auf Grund der politischen Spannung, aber die Fans dort sind so toll und es muss schwer für sie sein, dass plötzlich kaum mehr eine Band in ihr Land kommen will. Aber es ist ja nicht nur in der Ukraine so, selbst hier in der näheren Umgebung bekommt man es manchmal mit der Angst zu tun. Kürzlich in Belgien standen Wächter mit Maschinengewehren vor unserer Halle und haben die Leute kontrolliert. Sogar mein Tourmanager wurde angehalten und ausgefragt, weshalb er vor der Halle stand, obwohl er nur auf mich gewartet hat. Aber hey, ich bin weiterhin überglücklich auf Tour sein zu können, und dass die Fans immer noch kommen. Auch wenn man nie weiß, was nächstes Jahr ist.
Ja, ich schätze, gerade der Tod von Lemmy hat auch vielen noch mal ins Gedächtnis gerufen, wie schnell alles vorbei sein kann. Aber du bist ja nun seit über 30 Jahren aktiv in der Metalszene unterwegs und gibst alles – hast du dennoch letzte Ziele im Hinterkopf, die du bisher vielleicht noch nicht erreicht hast?
Nein, eigentlich nicht, ich habe ja Touren bis Ende 2017 geplant und alles was ich mir wünsche, ist, dass wir alle gesund bleiben und weitermachen können. Ich wünsche mirdas, was sich jeder Mensch wünscht: Frieden und dass wieder etwas Ruhe einkehrt, die Welt zur Vernunft kommt. Natürlich hat die Situation der Flüchtlinge mich auch sehr mitgenommen – übrigens, der Jimmy, der unsere Locations in Hamburg ausgesucht und uns mit aller Kraft geholfen hat, war früher auch Flüchtling aus dem Libanon. Und natürlich habe ich mich viel mit ihm darüber unterhalten, weil mich all der Horror in der Welt doch schon sehr mitnimmt und kaum ein Tag vorübergeht, in dem man nicht schockiert ist.
Spiegelt sich diese Stimmung auch auf deinem nächsten Album wieder, das gerade in der Mache ist? Oder versuchst du eher, eskapistisch an deine neuen Songs heranzugehen und dir mit der Musik einen Platz zu schaffen, in dem die Realität ausgeschaltet wird?

Einige Songs werden sicherlich politisch sein und auch die Melodie, die mir in den Kopf kam, als ich im Flugzeug zu Lemmys Beerdigung flog, ist natürlich sehr traurig – ‚Living Life To The Fullest‘ wird der Song heißen und er ist eine Hommage an ihn. Demnach sind es alles Lieder, die auf die ein oder andere Weise bewegen, aber sicherlich auch klassische Hymnen, die gute Laune bringen. Bei „Raise Your Fist“ war ja auch ein Song dabei, der ‚Freiheit‘ hieß und in dem es um Menschenrechte ging und er war für Terre des Femmes gemacht, eine Organisation, die sich für Mädchen und Frauen in Problemsituationen einsetzt. Das war sehr wichtig für mich, da ich selbst in absoluter Freiheit gelebt habe, ich durfte immer sagen und singen was ich wollte, während das in anderen Ländern undenkbar ist. Aber ich denke, das nächste Album wird wieder alle Spektren abdecken und sicherlich ist auch wieder viel für’s Herz dabei, denn seit wir den Song ‚All We Are‘ haben, weiß ich, wie wichtig es ist, dass Fans ein Gemeinschaftsgefühl haben und zusammen ihre Lebenslust feiern können. Auch wenn ich mich Anfang der Achziger sehr mit destruktiven Lyrics auseinandergesetzt habe und alles düster war, lege ich heute doch mehr Wert auf positive Messages – über Tod und Teufel lässt sich zwar leichter schreiben, aber es gibt schon genug Elend in der Welt.
Du bist auch eine sehr spirituelle Person – widerspricht sich das nicht manchmal mit den klassischen Idealen der Metalszene, die immer wieder gegen Religionen jeglicher Art rebelliert?
Ich habe viele Wunder erlebt und bin somit jemand, der auch an Erzengel glaubt und durch viele Extremsituationen an übersinnliche Mächte zu glauben begann. Ich hatte beispielsweise mal einen sehr schweren Autounfall, als ich während einer Tour ein paar Tage frei hatte. Ich war auf der Autobahn und hatte auch ein ordentliches Tempo drauf, vielleicht 230 oder so, es war mitten in der Nacht und plötzlich schaukelte sich der Wagen auf, ich konnte das Lenkrad nicht mehr halten und wusste: Jetzt ist alles vorbei. Und in dem Moment war ich tottraurig, es passierte alles wie in Zeitlupe und ich dachte nur noch daran, dass ich am nächsten Tag einen Gig spielen wollte. Der Wagen drehte sich, schlug gegen die Leitplanke und als ich aufwachte, zogen Leute mich aus dem Auto. Er stand immer noch mitten auf der Autobahn, aber es kamen sofort unzählige Menschen, um mir zu helfen, sie boten mir eine Zigarette an und dann merkte ich erst, dass mein Kopf blutete. Ich kam ins Krankenhaus, aber dachte immer noch nur daran, dass ich einen Gig spielen musste und somit entließ ich mich sehr schnell selbst, obwohl das den Ärzten gar nicht passte. Erst Zuhause klappte ich zusammen und merkte nach dem Schock, was eigentlich mit mir passiert war – ich hatte so viele Schutzengel an dem Tag, weil es ein Ding der Unmöglichkeit war, dass ich das überlebe. In meinem Leben habe ich viele Erfahrungen mit Engeln gemacht und deshalb gibt es auch schon viele Engelsongs in meinem Repertoire… Es hilft mir einfach in Extremsituationen. Als Teenager habe ich viel mit der dunklen Seite geflirtet und merkte damals auch, was für schlimme Dinge dadurch passieren können – aber als junger Mensch ist man eben so und damals war mein Motto nur ‚Kill ‚em All‘. Aber mittlerweile hat sich alles verändert, ich liebe das Leben, ich liebe die Musik und meine Fans und genieße jeden Moment.

Kürzlich hast du einen Song mit Amon Amarth für ihre neue Platte aufgenommen und da kommen wir dann nochmal zu dem Männer/Frauen-Thema – du sagst, dass du niemals Schwierigkeiten hattest und immer in der Szene akzeptiert wurdest, trotzdem zeigt sich gerade im Extreme Metal eine immer noch sehr frauenfeindliche Stimmung und viele Amon Amarth Fans waren ganz entsetzt, dass ihre Lieblingsband eine Frau einlädt.
Für mich war das nie ein Thema, ich sehe mich als Mensch, nicht als Frau, schließlich kann man sich das bei der Geburt nicht aussuchen. Aber auch mit meinen Fans hatte ich nie Schwierigkeiten, die Leute wussten immer, dass ich mit Herz und Seele dabei bin und meine Musik sehr Ernst nehme. Demnach habe ich mich auch immer akzeptiert gefühlt, Judas Priest, Ronny James Dio, Lemmy, alle haben sie mich schon eingeladen, mit allen bin ich befreundet und nie habe ich mich ausgeschlossen gefühlt. Als Mann sähe mein Leben nicht anders aus. Und bei Amon Amarth habe ich mich enorm gefreut, dass sie mich fragten. Ich flog nach England, um mit den Jungs direkt zu arbeiten, ich kannte Johan schon vom Bang Your Head Festival und habe dort mit ihm performt – ich liebe ihn einfach! Deshalb war es eine große Ehre, von ihm eingeladen zu werden und ich hatte auch den Eindruck, dass es den Jungs gefiel, was ich machte. Alles war locker und beim ersten Take saß die Aufnahme schon, also war alles perfekt. Aber für die Fans ist es natürlich Geschmackssache und man kann es niemals jedem rechtmachen – wenn man nicht auf weibliche Vocals steht, ist das ja okay. Aber ich bin sehr zufrieden mit dem Song und es war richtig geil für mich, mit den Jungs zu arbeiten, denn Johan ist aktuell mein Lieblingsfrontmann, seitdem ich ihn live in Wacken gesehen habe.
So Doro, jetzt habe ich dich lang genug aufgehalten, aber zum Schluss noch eine ganz allgemeine Frage: Du wirkst immer glücklich und stehst seit 30 Jahren konsequent hinter allem, was du tust – was würdest du Leuten raten, die immer wieder an sich zweifeln und zurück auf die Füße klettern wollen?
Einfach immer seinem Herzen folgen. Jeder muss seine persönliche Berufung finden und tun, was ihn glücklich macht. Es ist schwer, seine innere Mitte zu finden und dann an sich zu glauben, wenn kein anderer es tut, aber wenn man sein Herz als Kompass sieht, kann man sich nicht verlaufen. Zusätzlich ist es immer eine gute Idee, tolle Leute um sich zu scharen, den man vertrauen kann und die einen unterstützen, aber auch wenn man allein ist, sollte man immer vorwärts schreiten. Das Internet erlaubt so viel, man kann zahllose Leute erreichen und ich glaube, jeder Mensch hat eine Aufgabe in seinem Leben, egal ob groß oder klein. Schon mit drei Jahren wusste ich, dass ich Sängerin werden wollte, auch wenn ich nicht wusste wie. Mit 15 bin ich dann schwer krank geworden, war fast ein Jahr lang im Krankenhaus, aber das hat mir die Augen geöffnet: Sterbe ich oder bleibe ich am Leben und mache Leute glücklich? Das hat mich so angespornt, dass ich zwei Wochen nach meiner Entlassung meine eigene Band am Start hatte. Manchmal muss man sich selbst aus seinem schwarzen Loch herausziehen, meine Eltern haben mich auch unfassbar unterstützt und so ging alles seinen Weg. Meine vierte Band war dann Warlock und plötzlich waren wir zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle, weil Metal boomte. Wir spielten damals noch Gigs mit Metallica in kleinen Jugendclubs in Belgien, aber man spürte schon, das Metal sich ausbreiten würde. Trotzdem entstand all die Motivation dahinter in einer sehr dunklen Zeit und dementsprechend wollte ich sofort loslegen – wir probten jeden Tag, wollten rasant besser werden und eines Tages kam jemand in unseren Proberaum und meinte „Spielt doch mal einen Gig!“. Wir wussten erst gar nicht, was er meint, aber nachdem er uns etwas bequatscht hatte, ließen wir uns überreden und so fand unser erstes Konzert in einem Punkschuppen statt – natürlich waren die Punks dort wenig begeistert von uns, weil die Szenen noch stark getrennt waren und nach ein paar Songs entrissen sie uns die Gitarren, kloppten darauf herum und wir haben uns nur verstört hinter den Amps versteckt! Trotzdem ließen sie uns dann die Show zu Ende spielen – auf Gitarren, die jeweils nur noch eine Saite hatten! Haha, das war wirklich die harte Schule damals. Aber ich wusste schnell, dass ich das mein ganzes Leben machen wollte. Und als ich dann die Welttournee mit Judas Priest angeboten bekam, kündigte ich auch meinen normalen Job – mein Chef wusste gar nicht, wer Judas Priest sind, aber er verstand es und stand sogar letztendlich bei meinem ersten Gig der Tour in der ersten Reihe und war stolz. Also um zu der Frage zurück zu kommen: Niemals aufgeben, so viel Energie wie nur möglich mobilisieren, denn somit lernt man auch neue Leute kennen und so ergeben sich überraschend immer mehr Möglichkeiten.

Interview & Fotos: Anne Catherine Swallow

 

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